Konzertbesprechungen 2004

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Southside Festival, Neuhausen ob Eck - 25.6. - 27.6.04 (von Martin Weise)

Vorwort:
Was macht man, wenn man in der hinterletzten Provinz wohnt, kein eigenes Auto hat, um regelmäßig Konzerte in z.B. Stuttgart zu besuchen und dazu noch arm, so das man sich das schon mal gar nicht leisten könnte? Man sucht sich Freunde mit Auto, schnappt sich noch ein paar mehr Freunde und fährt dann einfach einmal im Jahr eine Provinz weiter zum Southside Festival. Dort kann man wenigstens ein paar Bands sehen, die einen interessieren. Southside 2004 ist mittlerweile mein Viertes. Es hat meine musikalische Sozialison begleitet (die sich zum guten gewendet hat, hoffe ich). Es bedeutet mir einfach eine Menge, egal, was andere davon halten mögen. Man mag mir deshalb verzeihen, wenn ich die ganze Sache etwas romantisiere. Hier nun mein kleiner Bericht.

1. Tag, heiter bis wolkig, es windet, die Frisur hält:
Wir sind Donnerstag Abend angereist. Die Nacht ist die kälteste, die ich je auf dem Southside erlebt habe. Es ist der Tag der Hip-Hopper. Cypress Hill, Fanta 4, Gentleman. Bis auf Cypress Hill hab ich schon alle gesehen und will mir das nicht noch einmal geben. Was für eine Freude ist es da, das eine junge britische Band namens Amplifier die 2nd Stage eröffnet.

Amplifier
Über Amplifier bin ich erst kurz vor dem Southside gestolpert. Neugierig gemacht haben sie mich wegen ihrer Behauptung, sie könnten Muse locker das Wasser reichen. Na das wollen wir doch mal sehen, denke ich und postiere mich in der ersten Reihe. Es ist kurz vor 17.30 Uhr, der offizielle Beginn. Und siehe da, ein paar Leute haben sich tatsächlich auch vor die Bühne verirrt. Großartig, wenn man bedenkt, das ihr Album erst im Februar in Deutschland veröffentlicht wurde (nachdem sie in England schon durch die ganze NME-Hypepalette gejagt wurden) Und los geht’s. Amplifier sind ein Three-piece. Aber soundmäßig geht es ab, also ob ein Dutzend Musiker vor mir stehen würden. Kurz umrissen würde ich sagen: Dredg (Epik, Atmosphäre) meets Muse (Intensität/Des Sängers Ausbrüche und Gitarrenspiel) meets Pink Floyd (zu „Dark Side of the Moon“-Zeiten wegen des Bombast). Hier und da klingt Aerogramme an, manchmal ihre Kollegen von Oceansize. Der Hammer. Ihre breiten Gitarrenwände werden immer wieder durch Noiseattacken durchbrochen und treiben die Intensitätsspirale durchaus in Muse’sche Sphären, der Vergleich hinkt nicht. Während der Sänger wohl zu der Spezies der Frontmann-Autisten gehört, können es Basser und Drummer kaum fassen, dass so viele Leute zu ihrem Auftritt gekommen sind, der, man glaubt es kaum, ihr erster Gig in Deutschland ist. Ihr Grinsen und ihre großen Augen hat man wohl noch aus der hinterletzten Reihe gesehen. Ihre Songs brechen immer die 5 Minuten Grenze, lassen Platz für Interpretationen und kleine Jams. Und immer wieder umfangen einen die Songs, lassen einen eintauchen in eine psychedelische Welt voller bunter Farben, Abgründen und Felswände. Dann ist ihre Zeit auch schon vorbei, der Sänger verschwindet gleich, aber Neil (Bass) und Matt (Drums) kommen noch herunter und danken den Leuten persönlich. Ich bekomme kurz Gelegenheit, um Neil zu gratulieren. Der hat glänzende Augen und kriegt sich kaum ein: „IT WAS FUCKIN’ AMAZING!“ (ich liebe diesen irischen Akzent). Und man nimmt ihm diese Begeisterung ab. Und schon sind sie weg, auf dem Weg zum Hurricane. Wie heißt es in „One Great Summer“? „We are unstoppable now!“ Oh ja! Geheimtipp! Sorgt dafür, dass es nicht so bleibt.

Tomte
Thees Uhlman ist einer meiner Held. Ein sympathischer Verlierertyp, den man, verlottert wie er ist, einfach mal in den Arm nehmen und knuddeln will. Das wird schon, will man ihm zurufen. Aber er hat schon einiges geleistet. Er war Promotor für „L’age D’or“, schreibt für „Intro“, hat als Roadie für Tocotronic gearbeitet (darüber auch ein Buch geschrieben) und hat mit den Freunden von Kettcar das Label „Grand Hotel Van Cleef“ aus dem Boden gestampft, das uns, ausser ihrer eigenen Musik, so wunderbare Bands wie The Weakerthans und Death Cap for Cutie bringt. So macht Thees auch seinen Soundcheck selber, trinkt nebenher Jim Beam und grinst immer wieder schüchtern und verstohlen ins Publikum. Dann kommen die restlichen Tomtes auf die Bühne. Was folgt, sind sanfte Indieperlen. Ein bisschen wie die Smiths mit deutschen Texten, die, wie bei Kettcar, von Grund auf ehrlich sind und einen einfach da berühren, wo bei manchen Leuten das Herz sitzt. „Endlich einmal“ zum Beispiel. Hier geht es um Thees’s ein und alles, seinen Dackel: „Endlich einmal / etwas das länger als 4 Jahre hält.“ Umso trauriger, dass das treue Tier vor einer Weile überfahren wurde. Aber das sind eben Tomte. Irony is over, echte Gefühle kommen hier zum Tragen! Aber auch Humor ist erlaubt: “Ich bin bereit / gib mir Korn und Sprite”. Zum Vergleich: „I’m feeling supersonic / gimme Gin and Tonic“. Hier wird nicht geholzt, hier wird gepickt. Und ja, Gitarrenpicking ist das Hauptstilmittel bei Tomte, was wiederum zu dem Smiths führt. Und das, obwohl Gitarrist Dennis früher Knüppel-Metal gemacht hat.
Auch Thees ist gerührt, dass so viele Menschen seine Band anschauen. 2004, sagt er, das ist sein Jahr. Es scheint zu laufen. Endlich. Wie schön für ihn. Und zum Schluss gibt es „Die Schönheit der Chance“ Irgendwie programmatisch.

Black Rebel Motorcycle Club
Waren die GUT vor 2 Jahren. Damals im Zelt mit dem Debütalbum. Aber das gibt’s nicht mehr. Schade. Und der Auftritt stand von vorne herein unter keinen guten Stern. Zuerst muss ich der Kotzattacke einer jungen Dame ausweichen. Das war knapp. Ok, weiter den Roadies bei der Arbeit zugeschaut. Aber was machen die da? Nun, das war zumindest kein richtiger Schlagzeug-Soundcheck. Ne, ne, ne, soviel versteh ich auch noch davon. Dann Gitarren und Bass-Check. Hm, ok, es kommt kaum was hier an. Da schmeißt der Roadie auch schon die Drumsticks weg, nimmt den Bass kurz auf, stellt ihn wieder hin und geht. Und der BRMC kommt. Legt los. Beschweren sich sofort gestenreich über den Sound. Und zack, ein Riesenschlag und alles ist still. Im ersten Song. Der Drummer verpisst sich wutentbrannt wieder. Die beiden Verbliebenen zucken die Schulter und stimmen einen Akustiksong namens: „Complicated Situation“ an. Ok, Galgenhumor. Lobenswert. Mir ist es aber vergangen, ich verpisse mich zum Zelt. Kaum bin ich da, höre ich „Spread your love“ herüber schallen. Ärgerlich.

2.Tag. Die Sonne brennt. Der Bierdurst ist groß. Die Frisur klebt:

Die Nacht ist schon wieder eiskalt. Aber am Morgen wird es schnell warm, es verspricht ein heißer Tag zu werden.

Mclusky
Mclusky machen den Soundcheck selber und legen dann mit dem Tritt in die Eier „Lightsabre Cocksucking Blues“ los. Sie zerren den alten Hund Noise hinterm Ofen hervor und prügeln ihn auf der Bühne windelweich. Und Mr. Albini steht hinter ihnen und zeigt ihnen, wo ihre Schläge besonders weh tun. Und so klingen sie auch. Schrille Gitarren, ein sägender Basssound, der fast die Metallabsperrung vor mir zerlegt, sie zumindest kräftig vibrieren lässt. Des Sängers Stimme überschlägt sich ständig, so hysterisch singt (?) er. Sie ziehen und reißen einem in den Eingeweiden herum, dass man kotzen möchte. Das hier ist physisch und psychische Katharsis.
Meine Güte, dieser Bassist „Weird“ Jon. Der trägt seinen Spitznamen vollkommen zu recht. So was hab ich selten gesehen. Er dreht total ab und traktiert seinen Bass, das alles zu spät ist. Würde man im gar nicht zutrauen, so schlaksig wie er ist. Und schon beim dritten Song ist der erste Bass auch schon dahin. Der Unterschied zwischen dem Durchbruchalbum (wenn man das bei Mclusky so sagen kann, Durchbruch...) „Mclusky Do Dallas“ und dem neuen, dritten Werk „The Difference Between You And Me Is That I’m Not On Fire“ liegt schon auf Grund der Titel auf der Hand. Letzteres ist verkopft, fieser als der Vorgänger und um Längen kantiger, die totale (oder tonale?) Verweigerung was Kommerzialität und Songstrukturen betrifft, während „...Do Dallas“ viel straighter rockt und viel schneller ins Ohr geht. So ist es relativ einfach festzustellen, das Mclusky in ihrem Set eher auf Bewährtes setzten und nur wenige neue Stücke spielen. Mittlerweile hat Jon seinen zweiten Bass zerlegt und das nur auf Grund seiner abartigen Spielweise. Mclusky sind auch nur ein Three-piece, bringen aber eine Energie rüber, wie es sich manche 11-köpfige Ska-Band nur träumen lassen kann. Und sie wären keine Engländer, wenn Sänger Andy nicht auf Fußball zu sprechen kommen würde und einen Song den mittlerweile amtierenden Europameistern widmen würde. „To Hell with good intentions“ markiert den Höhepunkt, Mclusky haben nicht nur Pflicht, sondern auch noch die Kür erfüllt. Und was macht Jon? Er schmeißt seinen Bass hoch und verlässt die Bühne. Das war dann Bass Nr.3.
Während des Auftritts tippt mir jemand auf die Schulter. Ich drehe mich um und Markus (der Basser von Mom’s Day) steht vor mir. Es wird Zeit unser bestandenes Abi zu begießen, was uns jedoch um den Gluecifer Gig bringt. Aber die nächste Band ist die ideale Plattform dafür.

The Bones
The Bones sind Vertreter des skandinavischen Punk’n’Rolls á la Gluecifer oder Hellacopters. Sie jedoch sind eine Partyband. Songtitel wie „Fill me up with Booze” sind da programmatisch. Marcus und ich pendeln zwischen Pogo und Beck’s Stand, während uns The Bones Geschichten von Saufen, Frauen und Drogen erzählen. Ihr ziemlich fettleibiger Gittarist bringt mit entsprechender Matte und Styling einen guten Schuss Grease mit in ihr relativ handelsübliches Gebräu. Letzten Endes hat man das an anderer Stelle besser gehört (z.B. bei den Obengenannten), doch die Bones nehmen trotz allem einen Platz in den oberen Rängen ein, denn selten habe ich zu einer Band so abgefeiert. Das liegt wahrscheinlich daran, das sie auf der Bühne selbst eine dicke Party feiern und Bier fürs Publikum ausgeben, sich selber nicht so tierisch ernst nehmen. Definitiv cool.

Anti-Flag
Anti-Flag sind ein bisschen wie Schokolade. In gewissen Mengen absolut empfehlenswert, aber zuviel des Guten macht Bauchweh.
Die vier jungen Pittsburgher sind angepisst. Verdammt angepisst. Weil ihr Land einen Präsident hat, mit dem sie nicht einverstanden sind. Darum geht’s auch über weite Strecken in ihrer Musik. Soweit schön und gut. Anti-Flag machen Punk. Keinen schlechten, Gott bewahre, aber auch keinen besonders Überraschenden. Punk mit einer Message. Bis hier hin gibt’s überhaupt nichts zu meckern. Jetzt wollen sie ihre Message natürlich unters Volk bringen. Das machen sie mit ihren Songs, die Titel wie „Fuck Police Brutality“, „Die for the Government“ oder „Turncoat“ heißen. Das machen sie gut, mitreißend, mit gehörig Pfeffer im Arsch. Sänger Justin Sane (hohoho) hat eine heisere, verheizte Stimme, die gut zum Sound der Band passt. Sie alle hüpfen und rennen herum und immer, immer wieder kommt die Faust. Ja, die Faust und der Mittelfinger, dadurch teilen sich die jungen Männer bevorzugt mit. Fuck Bush hier, Fuck Bush da. Das ist ja auch schön und gut und richtig, aber auf die Dauer nervt das. Ich finde, sie haben dieses oberflächliche, effekthascherische Getue nicht nötig, ihre Musik für sich sagt viele Dinge wesentlich intelligenter. In diesem Fall ist weniger Mehr. Aber wie gesagt, musikalisch gab es nichts zu meckern. Feine Band, das.

Mittlerweile ist klar: David Bowie kommt nicht. Das will mir gar nicht schmecken, denn auf ihn habe ich mich besonders gefreut..

Dropkick Murphys
Die Murphys aus Boston erfreuen sich in ihrer Heimat einer relativ großen Beliebtheit, hierzulande sind sie ein eher unbeschriebenes Blatt. Das ist eigentlich schade, denn die Murphys sind ein stückweit die Helden des Folkpunk. Und wenn man sie kennt, weiß man auch genau, warum. Sie hören sich einfach dermaßen nach Folkpunk an, das es folkpunkiger nicht mehr geht. Aber von vorne. Zuerst ertönt ein keltischer Song, von einer Frau gesungen. Dann kommen auch schon die Murphys auf die Bühne und fangen an, begleitet von einem – na? Kommt ihr drauf? Natürlich – einem Dudelsack. Hier darf jeder mal ans Mikrophon und einen Song zum besten geben. Diese handeln von Ehre, Brüderlichkeit, Treue, harter Arbeit, Frauen und....saufen, saufen, saufen. Dies und Freundschaft sind die beiden Hauptthemen. Zum Beispiel: „Stand up and fight / and I’ll stand up with you / we shall succeed”. Hier stimmt jede Harmonie, jeder Flöteneinsatz und sowieso das ganze Drumherum, das ist Folkpunk in Perfektion. Das sich diese ewig gleichen Harmonien auf die Dauer abnutzen, fällt heute auch nicht weiter ins Gewicht. Die Atmosphäre stimmt auf jeden Fall. Selten habe ich so einen herzlich-herben Pogo erlebt wie hier.

Aber drüben auf der Mainstage fangen auch schon die Pixies an.

Pixies
Es ist so eine Sache mit Reunionshows. Die riechen immer nach Geldmacherei. Das ist auch der Zweck von Reunionshows. Auch hier ist Skepsis angesagt. Frank Black hatte im Zuge der Promotion zu seinem dritten Soloalbum einer Pixies-Reunion noch keine Chance gegeben. Nur wenige Monate später wurden die exklusiven Festivaltermine bekannt gegeben. Na, das ist ja interessant. Aber erst mal schauen, dann beurteilen, Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel.
Der erste Gedanke: Mann, Frank Black und Kim Deal sind älter und dicker geworden. Und ausser Frau Deal haben die restlichen (allesamt männlichen) Mitglieder der Band ihre Haupthaare entweder freiwillig oder unfreiwillig eingebüßt. „Monkey gone to heaven“ markiert für mich als nicht so ganz bewanderten Pixies-Neuling das erste bekannte Stück. Ich mag mich auch gar nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen, aber bis auf wenige Ausnahmen sind die Pixies nicht so krachig als ich angenommen habe. Das Frau Deal eine einigermaßen schöne Singstimme hat, weiß ich ja schon von ihrer Band The Breeders, das sie live auch so funktioniert, hat mich überrascht. Ich hatte zuerst den Eindruck, das kein besonders gutes Klima auf der Bühne herrscht, aber der trog, Black und Deal schauen sich immer wieder wissend an und grinsen, reden auch miteinander. Zum Ende hin wird es dann aber richtig krachig. Gitarrist Joey erzeugt eine Rückkopplung, stellt seine Gitarre in einen Ständer, geht zu seinen Effektgeräten und macht Krach. Gute 5 Minuten. Black schaut zu, auf der Akustikgitarre spielend, in seinem Gesicht spiegelt sich die Andeutung eines Grinsens. Als Joey dann seine Gitarre wieder an sich nimmt, steht Black am Mikrophon und kreischt immer wieder in kurzen Abständen. Ohne eine Miene zu verziehen. Das tut er ohnehin nicht, genauso wenig, wie er mit dem Publikum spricht. Das lässt ihn eine Aura von Arroganz und Unnahbarkeit umgeben. Er kreischt also. Ne ganze Weile. Dann ist der Song vorbei, die Pixies wollen abhauen. Aber das Publikum lässt sie nicht. Sie kommen wieder und geben der Masse, was sie will: „Where is my mind?“. Der Song ist aber auch schön. Kim Deal lässt die Männer wissen, „that I saw everybody’s penis today, because you where all peeing in front of our tourbus.“ Der Abschluss ist “Debaser”. Dann ist aber auch wirklich vorbei. Und das Fazit? Reunionshows sind eigentlich käse. Aber schön. Irgendwie. Ach ja, eine Schande, das ich 1989 erst fünf Jahre alt war.

Ich trotte gedankenverloren Richtung 2nd Stage, summe „Where is my mind“ und weiche diversen auf dem Boden liegenden Betrunkenen aus. Es zieht mich zu den Beatsteaks.

Beatsteaks
Da der Bowie nicht kommt, kann ich mir den ganzen Auftritt der Buletten ankucken. Die haben ja mit „Smack Smash“ ein dufte Album vorgelegt und gelten ja sowieso als eine der deutschen Livebands. Jetzt mal sehen, was sie können. Es folgt die Hölle. Entweder hast du es gesehen oder nicht. Arnim klettert erst mal auf den Licht/Mischturm, rennt sowieso ständig rum, hüpft, keift, singt und am besten alles auf einmal, genau wie der Rest der Band, die tight wie Sau sind. Und immer wieder streuen sie Zitate ein. Bei „Summer“ ist es Rage against the machine mit „Bullet in the Head“, bei dem Strummer-Abschied „Hello Joe“ natürlich einen Song von The Clash, „Revolution Rock“ von der „London Calling“, sogar The Police spielen sie, „So lonely“. Und da gibt es einen Song, der sich dermaßen nach New Order, bzw. Joy Division anhört und auf ihrem Drittwerk „Living Targets“ zu finden ist, „Disconnected“ (?). Was für eine Ballade!!! Sie spielen Songs aus ihrer ganzen Karriere, sogar Stücke von der ersten Platte „48/49“ (die erste deutsche Band, die eine Platte über Epitaph rausbrachte!). Natürlich auch die aktuellen Songs „Hand in Hand“ und „I don’t care as long as you sing“, die das Publikum schon begrüßt wie alte Bekannte.
Und ihre Showeinlagen sind ganz Dicke. Da wird ein beliebiger Zuschauer aus dem Publikum ausgewählt, um mit ihnen Manowar’s „Kings of Metal“ auf dem Schlagzeug zu spielen. Das dies schon oft ein Griff ins Klo war dürfte klar sein, aber wie der Zufall so spielt, erwischen sie einen Drummer, der den Song beherrscht und sogar noch seine Show dabei abziehen kann. DAS nenn ich Publikumsnähe. Zur Belohnung darf er auf Arnims Surfbrett dein Croudsurf machen. Aber dann ist es auch schon bald vorbei, „Let me in“ kommt zum Schluss und es gibt keine Zugabe. Das ist aber auch gar nicht nötig. Die Leute sind bedient.

3. Tag. Frisur??? Augenringe wie Tränensäcke, es ist bewölkt:

Ich habe die Nacht durchgemacht und durchgesoffen. Ich fühle mich wie zerstampft. Dafür war die Nacht wenigstens mild. Ich bin so heiser, das ich kaum sprechen kann.

Danko Jones
Danko Jones sind Dienstleister. Wenn sie auf großen Bühnen spielen, dann liefern sie ihre Musik. Die ist gut, ok. Aber Danko Jones sind mehr als Musik. Sie sind ein Gefühl, ein Klischee. Das kommt durch die Unbegrenztheit nach oben und zur Seite nicht wirklich zum tragen. Hier kann kein Schweiß von der Decke tropfen. Das gehört aber dazu. Ansonsten macht Jones das, was er am besten kann: Er erzählt schlüpfrige Geschichten von Rock’n’Roll, Frauen, Frauen, Frauen und noch mal Frauen. Von seinem weißen Cadillac, davon, wie er gelernt hat, Frauen nachzustellen. Dann haut er sich. Bis er blutet. Wie heißt das aktuelle Album? „We sweat blood“. Für den Schweiß hat es nicht gereicht heute. Ich habe es einmal gesagt und ich sage es wieder: Danko Jones im Club!

The (Int.) Noise Conspiracy
Die roten Hunde von der Noise Conspiracy waren vor zwei Jahren auch schon zu Gast auf dem Southside und machten einem zur Mittagszeit die Hölle heiß. So was von tanzbar und überzeugend, ich liebe diese Band. Dieses Mal wars nicht so gut. Sänger Dennis (Ex-Refused Sänger, auch einer meiner Helden) verrät gleich zu Beginn, warum es kein so richtig guter Gig werden soll: Es ist zu früh und sie sind fertig. Das merkt man. Regelrecht unmotiviert gehen sie zu Werke. Das ist so schade, denn sie haben einen Haufen neuer Songs dabei. Und die sind besser denn je. Die Conspiracy macht nicht mehr den Klugscheißer, den linken Bücherwurm, sondern den sexy Rock’n’Roller, der was zu sagen hat; 60’s Soul mit Message. Aber das soll heute nicht so recht klappen. Klar, sie tanzen, rocken, soulen, aber das können sie besser. Viel besser. Aber was solls: Ich bin heute auch nicht das sprühende Leben.

Billy Talent
Kanada hat was wieder gut zu machen. Avril Lavigne zum Beispiel. Dafür sind Billy Talent angerückt. Die dümpeln schon 10 Jahre durch die Gegend, ohne das irgendjemand Notiz von ihnen genommen hat. Bis sie von einem Tag auf den anderen einen Plattenvertrag bekommen und das selbstbetitelte Debüt aufnehmen. Und man fragt sich: Warum ZUM TEUFEL hat es 10 Jahre gedauert, bis jemand diese Band unter Vertrag genommen hat? Billy Talent knallen einem eine eigenwillige Mischung aus Punk, Post-Rock und hochenergetischem Rock vor den Latz. Auf dieser verdammten Platte sind nur Hits. Somit haben die vier Jungs leichtes Spiel. Frontmann Benjamin ist ein Tier, das keift, schreit, kreischt und zwischendurch auch mal singt, aber immer hüpft, stolpert, tobt. Der Kerl ist total hyperaktiv. Gitarrist Ian hat eine Frankenstein-Gedächtnisfrisur und Riffs parat, die wie mit dem Lineal gezogen kommen. So viele geile Hooks auf einem Haufen, das soll man ihm auch erst mal nach machen. Die Talents machen eine grandiose Show, bringen ihre großartigen Songs dermaßen punk(t)genau rüber, das man keinerlei Verschnaufpause hat. „Try Honesty“, „Living in the Shadows“, „Line & Sinker“ und wie sie alle heißen. Bisschen lächerlich ist die Feststellung von Ben, das Bush weder ihr noch unser Präsident ist. Ach ja? Gut zu wissen. Aber sie entlohnen einen sogleich mit dem Fugazi-Cover „Waiting Room“. Und tatsächlich hört man ihrer Musik an, das Fugazi nach eigener Aussage neben den Buzzcocks ihre Haupteinflüsse sind. Und als sie fertig sind, dauert es fast 10 Minuten, bis ich meinen Mund wieder schließen kann. Höllen-Liveband.

Franz Ferdinand
Vier Glasgower machen Disco-Wave. Nennen sich nach einem Österreicher, dessen Ermordung das Streichholz für die Lunte zum Ausbruch des ersten Weltkrieges war. „Darts of Pleasure“ war die allererste Single, die mit folgendem Text endet: “Ich heiße superfantastisch / ich trinke Schampus mit Lachsfisch”. Was soll man davon halten? Gute Frage. Ich weiß nur, dass die Jungs mich zum Tanzen bringen. Eigentlich machen sie sehr simple Musik, die immer gleich strukturiert ist. Ganz wave-typisches Hi-Hat Spiel, sture Gitarrenachtel, erdiges Bassspiel. Es stampft sozusagen. Aber es packt mich regelrecht, genau wie alle um mich herum, alle tanzen. Auch die Jungs auf der Bühne. Diese tragen karierte Hemden mit hochgekrempelten Ärmeln, enge Hosen und Lederschuhe. Kunststudenten. Alles klar? Ich kann gar nicht so viel zu ihnen sagen. Ich versuchs mal mit Namedropping. Franz Ferdinand sind ein Zwischending zwischen The Rapture, die den kaputten, hysterischen, bekoksten, schlaflosen Wave machen, der weh tut wie drei Tage ohne Schlaf und Hot Hot Heat, die direkt auf den Bauch abzielen, um von dort direkt in die Beine gehen. Aber selber hören hilft. Sympathische Band, die nette Musik macht. Aber wenn Wave, dann schon The Rapture und Hot Hot Heat.

Es ist Zeit, die Zelte abzubauen. Grandioserweise bringt mich das um The Hives. Klasse. Es bleiben The Cure.

The Cure
Jeder, der bei The Cure sofort „Friday, I’m in Love“ oder „Boys don’t cry“ schreit, gehört erst mal ausgepeitscht. The Cure sind nicht so, sie sind kaputter, dunkler, viel weniger verdaubar. Das neue Album hat Ross Robinson produziert (der Mann macht sich....) und ist das „lauteste“, das sie je gemacht haben. Aber wir sind hier schließlich auf einem großen Festival, da gibt’s die guten, alten Sachen. Ich will an dieser Stelle eigentlich nichts schreiben. Das steht mir nicht zu. Ich war noch nicht auf der Welt, als The Cure schon groß und gut waren. Aber es war schön. Punkt.

Wir haben Glück, keine Staatsgewalt behindert unseren Rückweg. Nach einer Dusche und zwei Liter Wasser geht’s ins Bett, endlich. Ich summe „Lullaby“ von The Cure.

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Martin "Pogo" Weise


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Teufel