Konzertbesprechungen 2003

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Terremoto Festival, Weeze (28.-30.8.03)

Nicht alles hält für ewig. Schon gar nicht in der schnelllebigen Welt des Showbiz. Aber nicht immer muss das Ende einer großartigen Sache ein Schlussstrich darstellen. Manchmal entsteht durch das Ende der einen eine noch viel großartigere Sache. Nach dem Ende von Minor Threat entstanden die großen Fugazi, Kettcar gibt es nur, weil ... But Alive sich auflösten.
Nun, lange Rede, (k)ein Sinn: Anfang Februar 2003 meldete die CCB (Concert Cooperation Berlin) Insolvenz an. Somit stand das beliebteste Alternative Festival Deutschlands, das Bizzare, vor dem Aus. Rettung nahte in Form der Scorpio Konzertproduktionen, die das Festival auffing und (angeblich aus namensrechtlichen Gründen) in Terremoto Festival 2003 umbenannte. Nun blieb zu hoffen, dass trotz Namenswechsel die Qualität erhalten blieb. Das Line-up liess einem jedenfalls das Wasser im Munde zusammenlaufen. Punkfreude wurden u.a. mit Pennywise, Less than Jake oder Turbonegro reichlich bedient, der Hardcore-Fraktion wurden z.B. mit Cave In und Poison The Well absolute Schmankerl geboten. Auch richtig große Namen fehlten hier nicht: Foo Fighters, Die Ärzte, Placebo, ja sogar die Tabellenführer der diesjährigen Tourabsagerweltrangliste, Linkin Park und Limp Bizkit, fanden den Weg auf den Militärflugplatz von Weeze.

Vier Schwaben wagen das Abenteuer Weeze

Jan „Helmut“ Hölle
Das Nesthäkchen der Gruppe. Er ist ein kleiner Kraftbolzen, der schnell mal ausrastet und unglaubliche Kräfte freisetzt, die aber im Pogo sicherlich nützlich sind (deswegen auch liebevoll „Der unglaubliche Alk“ genannt). Ansonsten spielt er gern Darmflöte und mag Rolf Zukowski (oder wie immer man den Kerl schreibt).

Sebastian „ANGRY FUCKING“ Lutz
Der Bassmann der Mokicks, der unter einer sogenannten alkoholbedingten Schizophrenie leidet. Berührt auch nur ein Tropfen Alkohol seine Lippen, wird aus Doktor Jekyll Mr. Hyde, was ihm in näherer Nachbarschaft unserer Zelte Legendenstatus angedeihen lies.

Markus „Tex/Textoriakis“ Textor
Der „Ausländer“ der Crew (wohnhaft in Zillhausen). Seines Zeichens Hip Hopper, stellte das Terremoto seine Rockfestival-Entjungferung dar. Er ließ sich auch bei strömenden Regen seinen Enthusiasmus nicht nehmen und war, dank seines Braun-Rasierers, der glattrasierteste Kerl auf dem ganzen Zeltplatz

Martin „Pogo“ Weise
Der Frontmann der Mokicks und Verfasser dieses Berichts hatte einen Hang dazu, jedem/jeder, egal ob er/sie es wissen wollte, seine Lebensgeschichte zu erzählen. War zwischen den Konzerten prinzipiell im Zelt der „Grünen Jugend“ zu finden, um lecker Apfeltabak und andere leicht brennbare Substanzen zu konsumieren.

Tag 1, Donnerstag, den 28.8.2003
Da wir gezwungen waren, die Deutsche Bahn für unsere Zwecke anzuheuern, weil Textoriakis’ Auto den Geist aufgegeben hatte, begann unser kleines Abenteuer morgens um 8 Uhr am Bahnhof in Balingen, wo wir auch schon schwere Verluste hinnehmen mussten. Zwei gute Freunde namens Dinkel und Acker mussten wir nach einem Sturz aus großer Höhe zurücklassen. Zu müde, um schon die große Party zu feiern, lief die erste Etappe nach Stuttgart recht ruhig ab. Als wir dann im ICE nach Mannheim sassen, probierten wir aus, inwiefern asoziales Verhalten Bahnbedienstete bei der Arbeit stört. Von Düsseldorf aus ging es dann zum Zielbahnhof Weeze. Als wir ausstiegen, stellte sich die Frage: Verdammt, wo sind wir jetzt gelandet? So trist und flach kann es nur im Norden sein. Die erste Aufgabe war nun die Proviantbeschaffung. Zu diesem Zweck kaperten wir ein Taxi, um zu Aldi zu gelangen, wo wir uns mit lecker Wurst, und Bier eindeckten. Dann ging’s schon weiter zum Festivalgelände, um uns brav 2½ Stunden anzustellen. In der Schlange merkten wir schon, dass vor allem die Hessen und Bayern uns Schwaben extrem feindselig gegenüber standen. Und als wir dann drin waren, fing es pünktlich zum Zeltaufbau an zu regnen.
Nachdem das Basislager stand, wurde die nähere Umgebung inspiziert, vor allem die Zelte der Nachbarinnen. Abends dann, als die Stimmung schon locker und alkoholisiert war, bekamen wir dann auch prompt Besuch von denselbigen. Da Lutz sich schon in Mr. Hyde verwandelt hatte (= unglaublich betrunken), verlagerte sich das ganze ins Zelt der Frauen, wo wir dann wie die Heuschrecken über ihre Alkoholvorräte herfielen, bis nichts mehr übrig war. Nur Lutz wollte das nicht glauben und schrie die ganze Nacht nach Schnaps.


Tag 2, Freitag, den 29.8.2003
Nach einer langen, durchzechten Nacht mussten wir feststellen, dass der nächtliche Regen seine Spuren hinterlassen hatte. Unsere Zelte standen komplett unter Wasser. Lutz versuchte zwar sein bestes, das Wasser mit Helmuts Toastbrot aufzuwischen, musste aber aufgeben, da dies nicht funktionierte. So machen wir uns auf den Weg zum ca. 3 km entfernten Festivalgelände. Dort wurden die Merchandisestände geplündert. Dann war es auch schon 17 Uhr und D-Flame & the K.P.Crew enterte die Main Stage II.

D-Flame (Main Stage II, 17:00 –17:45)
Textoriakis wollte unbedingt D-Flame sehen, also taten wir ihm den Gefallen. Und schlimm war’s wirklich nicht. Dafür, dass kaum Leute anwesend waren, bouncten er und seine Band schon gewaltig. Auch wenn’s absolut nicht meine Tasse Tee war, sein gelungener Mix aus Hip Hop, Ragga, Reagge und Dancehall war durchaus nett anzuhören. Vor allem Flame’s Band, The K.P. Crew, ist unglaublich tight und versteht ihr Geschäft. Druckvoller Sound und gelungene Publikumsanimationen machten den Auftritt zu einem Vergnügen.

Nach diesem Auftritt entdeckten wir zum ersten Mal die Wasserpfeife im Zelt der "Grünen Jugend". An diesem wunderbaren Ort sollten wir uns noch des öfteren aufhalten, zumal ich mich sofort in die dortige Atmosphäre verliebte. Die anderen hatten schon Angst, ich würde den Grünen beitreten (eine Beitrittserklärung wurde mir tatsächlich unter die Nase gehalten!).
Später am Abend spielten das Alkaline Trio auf Stage III.

Alkaline Trio (Stage III, 21:15 – 22:30)
Eine überraschend große Menge Leute fand sich vor der kleinen Bühne ein, um die Chicagoer Band Alkaline Trio zu sehen, die hierzulande völlig zu Unrecht fast gänzlich ignoriert werden. Nach kurzer Verspätung kamen sie auch schon auf die Bühne und legten los. Aber irgendwas stimmte nicht. Sie klangen nicht wie gewohnt. Dann brachen sie auch schon ab und Sänger/Gitarrist Matt Skiba frage angepisst seine Tonmänner: "WHERE’S THE FUCKING BASS???" Nach 3 Minuten Geplänkel war dann das Problem gelöst und sie fingen wieder an. Ja, so kannte man den Sound des AK3, guter, oft zweistimmiger Gesang, prägnanter Bass, fast schon virtuos gespieltes Schlagzeug. Es folgte ein Set, das sich langsam steigerte. Am Anfang standen eher Midtempo-Songs wie die Single "We’ve had enough", gegen später wurden dann die schnelleren Songs ausgepackt, was das Set ziemlich homogen machte. Matt hatte zwar einige Stimmprobleme (Heiserkeit), aber diese meisterte er bravourös. Und der Award für den coolsten Bandbanner ging auch an sie (muss man gesehen haben).

Nach diesem schönen Auftritt blieben wir vor Ort und warteten auf Sum 41

Sum 41 (Stage III, 23.30 – 01:00)
Viel erwartete ich ja nicht von den 4 jungen Männern, die gerade mal zwei Jahre älter sind als wir. Und ja, Sum 41 waren dann auch nicht der Hit. Vorhersehbares Set, einstudiertes Bühnenacting. Zwei, drei gute Songs, allesamt vom zweiten Album, waren ja ganz nett, aber ganz nett ist ja bekanntlich das Todesurteil. Auch das sie kurz "Master of Puppets" anspielten, riss es nicht raus, genauso wenig der Metalpart am Schluss, welcher ziemlich bemüht rüberkam. Aber wir waren nicht enttäuscht, denn mehr hatten wir nicht erwartet.

Das war dann musikalisch auch der Abschluss des Freitags. Wir schleppten uns zurück zum Zelt und nahmen noch den einen oder anderen Gute-Nacht Trunk zu uns. Danach glitt der Großteil müde in die Schlafsäcke.

Tag 3, Samstag, den....ach, scheißegal
Nach einer erholsamen (für manche auch anstrengenden) Nacht wurde lange, lange ausgeschlafen, was mich um seinen ersehnten Cave-in Auftritt brachte. Das Wetter hatte sich inzwischen sehr gebessert und so wurde der Shuttlebus geentert um zum Festivalgelände zu kommen. Dort besuchten wir erst die "Grüne Jugend", dann durfte Textoriakis Trampolin springen. Er freute sich wie ein Kind. Nun setzen wir uns nieder, um Blackmail, DER deutschen Alternative Rock/Pop Band zu lauschen.

Blackmail (Main Stage I, 14:45 – 15.30)
Blackmail haben mehrere Markenzeichen. Druck aus den Boxen gehört genau so dazu wie interessante bis sinnentleerte Ansagen von Frontmann Abay. Sie haben zwei Arten von Auftritten. Entweder sind sie besoffen (dann sind sie gut) oder vollgekokst (dann sind sie mies). Ich meine, sie waren besoffen. Dieser Eindruck festigte sich, denn Blackmail rockten gut los, brachten ihre Songs gut rüber, besonders die Songs vom aktuellen Album "Friend or Foe". Dass Kurt Ebelhäuser ein Gitarrengott in Indiekreisen ist, ist nicht erst seit gestern klar, aber nach dem fulminanten Outro wussten es alle Zuschauer. Eine gut angelegte Dreiviertelstunde mit feinen, manchmal krachigen Kleinoden von Songs, die durchaus internationalen Anspruch haben.

Direkt nach Blackmail hörten wir auf einmal Ska-Musik von der zweiten Mainstage, also beschlossen wir, mal nachzusehen.

Reel Big Fish (Main Stage II, 15:30 – 16:15)
Das Gute an Skapunk ist, dass er, auch wenn er nur durchschnittlich intoniert ist, verdammt viel Spaß macht. Reel Big Fish zeigten sich in hervorragender Spiellaune und animierten zur Party, was von den Zuschauern auch begeistert aufgenommen wurde. Ihre Songs waren einfache Ska-Standards im Stile der Mighty Mighty Bosstones, nicht sonderlich aufregend, aber tanzbar. Zum Schluss gab es noch eine witzige Coverversion von Aha’s "Take on me", wohl ihr einziger, grösserer Hit. Machte Spaß, war aber nichts Besonderes.

Und weiter ging's, ohne Pause, zur Mainstage I

Sparta (Main Stage I, 16:15 – 17:00)
Die Reste von At the Drive-In, Teil 1: Als sich At the Drive-In traurigerweise trennten, zerfiel die Band in zwei Teile: The Mars Volta, die den experimentellen, virtuosen, intensiven, genialen und innovativen Teil mitgenommen haben und Sparta, die noch einen Teil Intensität und den ganzen Teil Verdaulichkeit mitgenommen haben. Das Terremoto bot nun die Gelegenheit, die Mitglieder der Band live zu sehen, allerdings auf zwei verschiedenen Bühnen an zwei verschiedenen Tagen.
Zunächst Sparta: Sie litten ihr ganzes Set unter miesem Sound (welcher an diesem Tag aber wohl üblich war auf der Mainstage I), das Schlagzeug musste ständig ausgebessert werden und zu allem Überfluss hatte ein Großteil der Zuschauer mehr Interesse an einem von einer jungen Frau auf dem Mischturm dargebotenen spontanen Striptease (aber ohne Gnade, ganz nackig....wenn sie wenigstens hübsch gewesen wäre...). All dies nervte gewaltig und lies die guten, rockigen Songs total verblassen, z.B. "Cut your Ribbon". Wenigstens die ruhigen Sachen konnten auf ganzer Linie überzeugen. Trotzdem schade, die Band um Gitarrist/Sänger Jim Ward hätte besseres verdient gehabt und man merkte ihnen die Enttäuschung an, vor allem, weil sie gemerkt hatten, wie viele Menschen ihre Songs in und auswendig kannten.

Danach kamen A.F.I auf die Bühne

A.F.I (Main Stage I, 17:45 – 18:30)
Wenn man A.F.I nicht kennt, hätte man zumindest schon von ihnen hören können. Man kann sie schon fast als alte Hasen betrachten, aber jetzt erst kam ihr Major-Debut "Sing the Sorrow" auf den Markt. Es gab auch Gerüchte, Sänger Davey Havkow sei eher ein dunkler Geselle der Nacht. Und als sie dann anfingen, betrat ein sehr, sehr bleiches Männlein mit schwarzen Haaren und weißem Rüschenhemd die Bühne, nachdem zuvor ein Intro erklang, das - man wagt es kaum zu sagen - ein Gothic-Pianostück gewesen war.
Das bleiche Männlein entpuppte sich als Sänger Havkow, der wie eine Mischung aus Type O Negative Frontman Peter Steele und Tom Cruise in "Interview mit einem Vampir" wirkte. Was sollte das werden? Nach dem Intro wurde dann schnell klar gemacht: Arschtretender Punk mit tief dunklem Einschlag, wohl am besten als (Achtung: Schublade!) "Darkpunk" beschrieben, wurde geboten. Auch A.F.I. hatten mit Soundproblemen zu kämpfen, die sie aber sehr professionell behandelten und in den Griff bekamen. Absolut sehenswert waren die Einlagen der Saitenfraktion. Höher, akrobatischer und aggressiver sprang niemand anderes auf diesem Festival. Auch Havkow schonte sich nicht und sprang munter mit, ohne dass seine Stimme gelitten hätte, die, ohne Übertreibung, zum Besten gehört, was ich zur Zeit aus dem Punk kenne. Das sahen auch die vielen Fans so, die wirklich in Strömen vor die Bühne gekommen waren (was ja einen gewissen Bekanntheitsgrad bestätigt) und ihre Helden stürmisch bejubelten. Sehr lohnenswert, diese Band kennen zu lernen!

Staind (Main Stage I, 19:15 – 20:15)
Staind. Aus Fred Dursts "Talentschmiede". Brachten mit "Break the Cycle" ein, na ja, schon gutes zweites Album heraus, letztens erschien das dritte, das mich dann auch zum Zusehen verleitete. Was hat mich nur geritten? Es gibt nichts langweiligeres als diese Band auf der Bühne. Der Gitarrist spielt Gitarre an den Kniekehlen, Sänger Aaron Levis bewegt sich ja sowieso nur in Zeitlupe (wenn überhaupt), der Bassist zupft konzentriert. Und der Drummer? Der macht Druck, der im Nichts verpufft. Wenn sie dann noch die Barhocker und die Akustische herauskramen, möchte man "Aufwachen" schreien. Wenn wenigstens Atmosphäre entstanden wäre, aber Pustekuchen, beinahe steril wirkte der Auftritt. Also verschwand ich dann auch relativ schnell wieder. Fazit: GÄHN!

Nun war Highlight Alarm.

Foo Fighters (Main Stage I, 21:15 – 22:30)
Ein Mann und eine Band, die niemals vergessen werden wird. Ein Mann, der die entscheidende Entwicklung dieser Band mitbeeinflusst hat. Ein Drummer vor dem Allmächtigen. Dave Grohl. Und er hat etwas mitgebracht:
Man hört nur eine Gitarre...tam-tam, tam-tam-tam. Tam-tam-tam, dieser Rhythmus, immer der gleiche Ton. Dann taucht er auf, mit seiner durchsichtigen Gitarre. Dann der Vocaleinsatz: "All my live I've been searching for something, something never comes, never leads to nothing....."
Aber….das ist es nun? So leise? Ja, traurig aber war, leise. Man sieht die Foo Fighters und sie sind leise. Kann es etwas Schlimmeres geben, als die Foo Fighters LEISE zu hören?
Ja. Zum Beispiel, dass man die Bühne vor lauter Hinterköpfen nicht sieht.
Auch als dann die restlichen Instrumente einsetzen, wird es nicht lauter. Schade? Nein, ärgerlich.
Sieht man darüber hinweg, war es ein fantastischer Auftritt! Ein umgeänderter Anfang von "Breakout", den das Publikum fast alleine intoniert, ein melancolisch schönes "Learn to fly", die wunderschöne, todtraurige, reduzierte Ballade vom aktuellen Album "Tired of you", Tanzbares mit "Stacked Actors", ihr wahrscheinlich bester Song "Monkey Wrench", Versöhnliches mit "Times like these", Raues mit "Low". Und ein wunder-, wunderschöner Abschluss mit einem umwerfenden, Tränen-in-die-Augen-treibenden "Everlong" als Abschluss. Auch wenn sie zu leise waren und man fast nichts sehen konnte, auch ganz vorne nicht....FF’s sind groß, so riesengroß, symphatisch und schlichtweg gut, das es auch Katzen hätte hageln dürfen. Nichts hätte die Magie dieses Auftritts kaputt machen können. Man könnte stundenlang weiter schwärmen.

Und weiter ging's, Highlight Alarm Nr.2

Die Ärzte (Main Stage I, 23:30 – weit nach 01:00)
Man hört nur eine Gitarre...tam-tam, tam-tam-tam. Tam-tam-tam, dieser Rhythmus, immer auf dem gleichen Ton. Hmm, wo hatten wir das schon einmal? Ah, FarinBelaRod erlauben sich einen Scherz? Ja, denn das ist immer noch das, was sie am besten können - und ständig machen.
Jetzt stellt sich die Frage, wie man über ein Ärztekonzert berichtet. Man nehme alle Singles, die Lieblingssongs der Fans, irrwitzige Überleitungen und Dialoge auf der Bühne, packt die längste Zugabe aller Zeiten (die sie je in Weeze gespielt haben) drauf und fertig ist der Gig. Und mehr passiert eigentlich auch nicht. Ärztekonzerte sind nicht überraschend, aber schön. Weil man viel mitsingen kann, die Leute sich irgendwie alle verbunden fühlen und die Atmosphäre auch bei kühlen 10 Grad herzlich warm ist. Und man den ganzen restlichen Abend ein Lächeln auf dem Gesicht hat und ihre Songs vor sich hinsummt. Die Ärzte machen bessere und glücklichere Menschen aus ihren Zuschauern. Einfach schön.

Es galt, früher als sonst ins Bett zu gehen, denn der letzte Tag stand vor der Tür und dieser sollte anstrengend werden. Außerdem hätte es durchaus noch zu Krieg mit ein paar neuen Nachbarn kommen können, weil ich mich extrem von ihnen angepisst fühlte (Bayern...*tz*)

Tag 4, Sonntag
Pünktlich um 11 Uhr begab ich mich vor die Mainstage III, um meinen Hardcore Tag mit Poison The Well zu beginnen.

Poison The Well (Stage III, 12:00 – 12:30)
Woran erkennt man Bands, die nicht reich sind? Sie haben keine Roadies, sondern bauen selber auf und machen selber Soundcheck. Sieht man auch nicht oft auf großen Festivals.
Es ist so eine Sache mit PTW. Man ist als Fan ja immer skeptisch, wenn Untergrundhelden zu Majorlabels wechseln. Man hat Angst, dass Kompromisse und Zugeständnisse das Besondere, das man an der Band mochte, zerstören. Nun, PTW machten von Anfang an klar, dass dies wohl nie eintreten wird.
Fragiler (das geht!) bis brachialer Hardcore, dargeboten mit agilem Bühnenacting. Das war so früh morgens nicht selbstverständlich und auch der Moshpit ließ sich nicht lumpen. Ich unbedachter Wicht dachte auch, dass ein bisschen Pogo um wach zu werden sicher nicht schaden würde, vergaß aber, dass hier kein Pogo, sondern Violent Dancing praktiziert wird. Zwei, drei Schwinger und Fußtritte später war ich auch schon wieder in sicheren Bereichen. Shouter Jeffrey Moreira freute sich sehr über die rege Beteiligung und gab sein Bestes. Die Songs vom aktuellen Album "You come before You" sind definitiv die besten, die sie je gemacht haben und funktionieren auch live sehr gut. Insgesamt wurde viel neues Material gespielt, das auch sehr positiv aufgenommen wurde. Verdammt cool für morgens um 12 Uhr!

Saves the Day (Stage III, 13:15 – 14:00)
Als nächstes kamen dann Saves the Day auf die Bühne. Früher waren sie beim renommierten Hardcorelabel "Victory Records" unter Vertrag und man fragt sich, warum. Nicht, das sie schlecht wären, aber STD machen einfach keinen Hardcore. Nicht mal Punk. STD sind lupenreine, sozusagen reinrassige College/Emo Rocker. Und so sehen sie auch aus, sie wirken kaum älter als zwanzig. Aber Songs schreiben und arrangieren, das können sie. Natürlich bewegen sich ihre Texte oft zwischen Party und Mädels hin und her, aber dennoch haben sie auch Texte, in den es ernster zugeht. Sowieso, die Jungs sehen so harmlos aus, denen kann man nicht böse sein.
Ihr Set gestalteten sie homogen, mit viel Spielfreude. Etwas verloren wirkte ihr Keyboarder, der nur bei zwei Songs zum Einsatz kam, aber den Sänger dafür stimmlich ergänzte. Highlight war natürlich "At your Funeral", ein wunderschöner Song mit einem etwas merkwürdigen Text, den auch so ziemlich alle mitsingen konnten. Der Award für den coolsten Bassisten geht an den jungen Mann, der den Viersaiter, locker Kaugimmi kauend, nur zupfend in Bewegung hielt und trotz bewölkten Himmels eine Ramones-Sonnenbrille trug. Stark.

Und der Bandmarathon ging weiter.

The Mars Volta (Stage III, 14:45 – 15:30)
Die Reste von At the Drive-In, Teil zwei: Ihr Debütalbum "De-Loused in the Comatorium" ist unglaublich. Ein Konzeptalbum zum Thema Suizid. Meine Worte, es zu beschreiben, reichen dafür auch nicht aus. 10.000 Einflüsse, 10.000 verschiedenste Spielereien und Effekte und die kryptischsten Texte, ohne überladen zu wirken. Stellte sich die Frage, wie Cedric, der Sänger und Omar, der Gitarrist (die Herzstücke von ATD-I) dies live umsetzen können, vor allem, weil sich Soundfrickler Jeremy Ward (der Cousin von Jim Ward, Sparta, siehe oben) erst letztlich durch eine Überdosis ins Jenseits geschossen hatte (makaber, bedenkt man das Thema des Albums).
Da betraten auch schon die genialsten Afro-Träger der Musikszene die Bühne. Und das bizarrste Happening, das ich jemals gesehen/gehört habe, begann. Höchstens drei Songs spielten sie in dieser einen Stunde (denn sie trauten sich zu überziehen). Da ihre Songs allgemein nicht unter 6 Minuten dauern, kann man sich denken, was da passiert war. Man war Zeuge einer Jamsession geworden. Der verstörendsten, verfrickeltsten aber auch genialsten Jamsession, die man sich vorstellen kann. Egal wie weit die Musiker auseinander drifteten, sie fanden immer wieder zusammen. Vor allem "Cicatriz" war ein Meisterstück. Der Mixer muss unglaublich begnadet sein, denn immer, wenn ein Instrument ein Solostück hinlegte, mischte er es in den Vordergrund und wieder zurück, wenn ein anderes dran war.
So entstand ein Sound, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Irgendwie nicht von dieser Welt. Und wenn man weiß, wie das Album klingt, muss man die Frage der Umsetzung mit "Bombastisch" beantworten.
Der Award für das beste Stageacting geht an Cedric, der die unglaublichsten Verrenkungen beim Tanzen machte, Grätsche aus dem Stand u.ä. Mikrofon und Ständer flogen meterhoch durch die Luft, wurden aber immer wieder zielsicher gefangen. Unglaubliche Arbeit leistete auch der Neue an den Tastenmaschinen. Wie lange hat es wohl gedauert, ihn einzulernen? Der Auftritt war das absolut heftigste und beste, das ich auf dem Terremoto, nein, jemals gesehen habe.

Boysetsfire (Stage III, 16:15 – 17:00)
Boysetsfire waren lange ein Geheimtipp, auf deren EP "After the Eulogy" die gleichnamige Bandhymne enthalten ist. Mittlerweile sind sie auch auf einem Majorlabel gelandet, was ihnen aber nicht geschadet hat. Etwas griffiger sind sie geworden, aber keinesfalls zahm. Noch immer sind sie überzeugte Kommunisten und prangern in ihren Texten immer noch soziale und gesellschaftliche Missstände an. Und sie sind mittlerweile ein Publikumsmagnet geworden. Mehr Menschen als erwartet fanden sich vor der Stage III ein und bekamen einen guten Auftritt geliefert. Intensiver, aufs Nötigste reduzierter Hardcore, präsentiert mit der unvergleichlichen Reibeisenstimme des Sängers wurde geboten und begeistert aufgenommen. Sie spielten ein schönes Set mit vielen neuen Stücken, aber auch ältere, die deutlich härter sind. Der Sound lies auch nicht zu wünschen übrig, denn er kam sehr druckvoll aus den Boxen. Zum Finale gab es natürlich noch "After the Eulogy", das die Menschen glücklich entließ. Ich war sehr zufrieden.

Turbonegro (Main Stage I, 17:45 – 18:30)
Turbonegro ist eine streitbare Band. Aber gut, verdammt gut. Und das Wichtigste: Sie ist wieder da. Nach einem mässigen Auftritt auf dem Southside war ich sehr gespannt auf ihren Auftritt hier. Direkt vor der Bühne wimmelte es dann nur so von Turbojugendlichen. Wir trafen auch eine Gruppe befreundeter Festivalgänger aus Geislingen, was die Warterei vor dem Auftritt deutlich verkürzte.
Und dann ging's los, mit dem Pianointro. Die Band betritt die Bühne. Jubel. Hank von Helvete betritt die Bühne. Tosender Jubel. Pogo. Ich weiss nicht mehr, wo oben oder unten ist. Ich singe nur noch "Get it on", "I got erection", "Drenched in blood", alles um mich herum singt. Hank verliert sich in sinnlosem Gestammel während einer Ansage. Und mir fällt erstmals richtig auf, wie schwul Pamparius sich wirklich bewegt und im Endeffekt auch ist. Ein besserer Auftritt als auf dem Southside, bessere Stimmung, bessere Leute, besserer Sound. Schöner Auftritt.

Dann rannten wir schnell weg, denn nun war Limp Bizkit dran. Uns stand der Sinn aber nach Punkrock, gutem Punkrock.

Pennywise (Stage III, 21:15 – 22:30)
Die Erfinder des Skatepunks. Sie sind immer das Nonplusultra dieser Szene gewesen. Sie sind gut und das sind sie noch immer. Bester Beweis ist das neue Album, das sie in ausgezeichneter Verfassung zeigt. Aber dieser Auftritt stand nicht im Zeichen des Neuen, sondern im dem des Alten und Bewährten. Pennywise spielten ihr Set quasi auf Zuruf, liessen ihre Geschichte Revue passieren und liessen das Publikum entscheiden, welchen Song man covern sollte.
Zuerst war ein Black Flag Song dran, den ihr Roadie "Angry fucking Dan" brüllte. Sogleich wurde sein Spitznahme geklaut und Lutz übergeben, da er genauso auf ihn passt. Die Ramones wurden natürlich nicht vergessen, "Blitzkrieg Bop" ist einfach der Ich-hab-ne-Punkband-und-wir-spielen-Blitzkrieg-Bop-weil-er-so-einfach-ist Song, wirkt immer. Zu guter Letzt, nach einem mehr als anstrengenden Gig kam das unvermeidliche Bro-Hymn. Die gesamte Roadiecrew und was-weiß-ich wer noch alles erschien auf der selbigen, manche schon gut angetrunken, um den Song gemeinsam mit der Band und dem Publikum zu singen. Ein schöner Abschluss.
Pennywise sind in ihrer Art so locker, sympathisch und witzig auf der Bühne, dass man ehrlich den Eindruck hat, sie würden das noch nicht 15 Jahre machen. Keine Spur von Routine (na ja, vielleicht ein bisschen), flexibel und arschtretend. Wird mir lange in Erinnerung bleiben.

Nun galt es, schnell auf den Zeltplatz zu kommen, um zu verhindern, dass das Zelt zerstört wird. Denn vielen eingefleischten Bizarre Fans gefiel es nicht, dass das Terremoto Terremoto getauft wurde. Intern heiß es "Burn Bizarre". Und gebrannt hat es wirklich oft und viel. In kleinen bis mittelgroßen Gruppen zogen die Randalierer über den Zeltplatz, immer gefolgt von 10-Mann-Bullentrupps mit Aufruhrausrüstung. Und immer wieder glühte es in der Ferne, mal hier, mal dort. Aber es blieb bei Sachbeschädigung. Und so konnten wir im allgemeinen Aufruhr noch eine gute Ration Bier klauen.
Der nächste Morgen bot ein Bild des Chaos und der Zerstörung. Schnell rafften wir unser Zeug zusammen, um wieder mal die Deutsche Bahn zu bemühen, uns nach Hause zu transportieren. Klappte natürlich nicht, in Köln blieben wir hängen. Auf vielen Umwegen kamen wir dann nach Tübingen und von dort nach Hause unter die Dusche und ins Bett.

Fazit
Gelungen ist das Terremoto musikalisch auf jeden Fall. Nur organisationstechnisch war es eine Katastrophe. Das lag letztendlich daran, dass Scorpio nicht angemessen auf den Ansturm der Menschen vorbereitet und einfach auch die Beauftragung mit solch einem Riesenprojekt zu spät vonstatten gegangen war. Man wird sehen, wie sich die Dinge nächstes Jahr entwickeln, wenn wir vielleicht wieder rüberfahren. Gelohnt hat sich’s!

Martin "Pogo" Weise


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Teufel