Aphrodites
Child – 666 (Vertigo, 1971)
2LP
Anno 1979: On Fyre sitzt mit seinen Kumpels in räucherstäbchenduftdurchwaberten
Kinderzimmern und hört mit heruntergelassenen Rolläden
im Stockdunkeln Schallplatten bis zur Vergasung. Vor zwei drei Jahren
hat man sich von dem eltern- und schulkameradenmitgegebenen Kindermusikgeschmack
gelöst und probt nun die Abgrenzung auf dem offenen Feld der
Musikwelt. Eine Welt, die neu ist und soviel zu bieten hat, dass
man die verpickelten Halbwüchsigenmünder nicht mehr zu
bekommt.
Ich hab ja letztens erzählt, wie die Verbindung von Amon Düül
II und dem siebenten Siegel von Ingmar Bergman einen Teil meiner
Menschwerdung bestimmt hat und hier kommt nun sowas wie ein weiterer
Meilenstein derselben Kategorie: 666 von Aphrodites Child. Ein nicht
hoch genug zu lobendes, vielfältiges Werk mit überraschenden
Wandlungen. Vielschichtig und dennoch eingängig. Eine der wenigen
Platten der Rockgeschichte, die sich dieses Prädikat vergeben
darf.
Inszeniert von vier Griechen, die es in den Turbulenzen der späten
60er über Paris nach London verschlagen hatte. Ein Nebel aus
Rebellion und Hippietum, 60s-Psychedelia und intellektueller Boheme.
In diesem Kontext entstand das Konzeptalbum 666.
Vangelis Papathanassiou (später als Elektronikpionier weltberühmt
geworden, auch wenn ich Jarre und die deutschen Elektroniker wie
Tangerine Dream sowieso immer für besser hielt) an der Orgel
und mit einigen vorzeitlichen Experimenten in elektronischer Musikerzeugung
zeichnet sich für alle Kompositionen verantwortlich, Demis
Roussos (aufgewachsen in ägypten, studierte Gesang und Musik
und wurde später ein sehr erfolgreicher Schlagersänger)
spielt Bass und steuert auf einigen unvergesslichen Hymnen seine
herrliche Eunuchenstimme bei (wie könnte man jemals sein zitterndes
"The Horseman was the Pest" vergessen). Von den anderen
beiden Musikern habe ich später nichts mehr gehört.
Den Text zum Album, das die biblische Apokalypse thematisiert (Achtung,
das war lange vor den Number-of-the-Beast-Adaptionen im Heavy Metal!!)
und dazu in Verbindung mit aktuellem Zeitgeschehen bringt, wie bspw.
die Ereignisse in Altamont, schrieb Costas Ferris und da wir auch
noch eine ganze Reihe an Sprechern haben und eine ganz und gar durchgeknallte
Irene Papas, die hier ein exorzistisches Exempel von Sangeskunst
bietet, das Diamanda Galas gehört haben muss, bevor sie anfing
sich von der Oper zu lösen, ist dies eher ein Hörspiel
denn eine Platte mit einzelnen Songs.
666, das sich über vier Schallplattenseiten erstreckt ist gross,
beherbergt trotz vieler gruseliger Passagen und der düsteren
Thematik die Grösse sich nicht allzu ernst zu nehmen und klingt
wunderbar endsechziger-, frühsiebzigermässig (ich weiss
nicht, ob es digitale ge-re-masterte CDs davon gibt, würde
Euch aber, wie immer, vom Kauf solcher musikverachtender Entstellungen
von Zeitdokumenten abraten. Das braucht wirklich niemand. Eine Platte
hat so zu klingen, wie sie damals gemastert wurde. Alles andere
ist doch nicht von Interesse, wofür auch?) und enthält
soviele grossartige Momente, dass deren Aufzählung alleine
eine umfangreiche Doktorarbeit abgeben könnte. Ich möchte
nur eines herausheben, weil es in seiner dramaturgischen Qualität
nahezu unerreicht ist und auch wieder einen Bogen zu meiner pubertären
Faszination für Symbolik zwischen Bibel, Satan und Tod schlägt:
Die erste Schallplattenseite endet mit dem Song (es scheint fast
platt, prasselte aber völlig unabhängig voneinander und
völlig unherbeigeführt und daher eben so überwältigend
auf mich ein) "The Seventh Seal" und dem gruselgänsehauterzeugend
fast flüsternd gesprochenen Satz "And when the lamb opened
the seventh seal, silence covered the sky." Und dann kommt
eben die Stille der endenden Platte, ein Erlebnis, das man heute
auf CD gar nicht mehr nachvollziehen kann, da der nächste Song
sofort anfängt, während man auf Platte erstmal staunend
und beeindruckt ausharrt und die angesprochene Stille direkt im
Zimmer hat, bevor man aufsteht und umdreht. Und das, kann ich Euch
sagen, das wirkt! Wer hat es jemals geschafft, über das Ende
seiner Musik hinaus zu beeindrucken?
Das Album war damals ein kommerzieller Flop, weil viel zu progressiv.
Die Plattenfirma Vertigo hatte aber auch schon den Verdacht, dass
die Band einfach nur versucht, aus dem Vertrag rauszukommen, um
ihn mit einer dritten Platte erstmal quantitativ zu erfüllen
und zweitens auch noch ein Kehrtwendung zu vollziehen, die soundso
zur Beendigung der Zusammenarbeit führen sollte, und tat daher
wenig, es anständig zu promoten. Dennoch brachte es sogar mit
"Babylon" und "The Four Horsemen" zwei grössere
Singlehits hervor.
(Ralf, 22.3.09)
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