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Brainticket - Psychonaut | Nick
Drake - Pink Moon
Brainticket
- Psychonaut (Bellaphon, 1972) LP
Sie gelten als eine der obskursten Bands aller Zeiten, sagt zumindest
der Rough Guide to Rock und der weiss wirklich mehr über Brainticket
als das ganze Internet. Um den belgischen Organisten und Flötisten
Jöel Vandroogenbroeck, setzte sich der Rest der Band vorwiegend
aus Schweizern und Deutschen zusammen.
Ich habe diesen Kram als Jugendlicher bis zum Erbrechen gehört
und auch heute gefällt mir die Mischung aus Psychedelia, Hippie-Sitars
und Tablas und manchmal schon fast abgegriffenen Rock-Riffs, übermalt
von dem melodischen, mal gruslig rezitativen Gesang von Jane Free.
Wurde die erste Platte Cottonwoodhills noch als vertonter LSD-Trip
eingestuft, so setzt dieses zweite Album durchaus auf abwechslungsreiche
Eingängigkeit, der es nicht gerecht würde, auf den Hit "Like
A Place In The Sun" reduziert zu werden. Psychonaut hat viel
mehr zu bieten und eine hohe Halbwertszeit. Schon das Cover hat dem
jugendlichen Onkel Ralf Stunden zwischen Freude und Grusel bereitet.
Dieses Album lohnt sich.
Es ist erstaunlich, dass Brainticket heute immer noch als Geheimtipp
gehandelt werden, wenn man bedenkt, wie sehr sie doch, von denen die
sie kennen, mit Lob überhäuft werden. Sogar der Rough Guide
stellt sie in eine Linie mit den Visionen von Can, Faust und Bowie,
was wohl aber eher für das erste, noch deutlich verschrobenere
Album gilt. Psychonaut fühlt sich viel ähnlicher an wie
Aphrodites Child. Voller Spannung, Grusel, Überraschungen und
Schönheit. Wie eine satanische Messe inmitten von trippenden
Hard-Rock-Hippies, doch das Ende ist nicht Beklemmung sondern Aufwachen
und Erleichterung. Psychonaut ist nicht wirklich böse. Psychonaut
tut gut. (Ralf, 12.5.13)
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Nick
Drake - Pink Moon (Island, 2000, Original
von 1972) - CD
Nick Drake starb 1974, 26 Jahre alt, an einer Überdosis Antidepressiva.
Noch heute wird gerne darüber spekuliert ob er die in selbstmörderischer
Absicht einnahm, wobei die Umstände eigentlich dagegen sprechen.
Nick Drake war ein englischer Sänger und Akkustik-Gitarrist inmitten
der Folkszene, die damals in ihrer Blüte stand. Zeitlebens wurde
ihm allerdings keine besondere Beachtung zuteil, zumindest nicht was
die Verkaufszahlen betraf.
Das Spezielle an Nick war seine zerbrechliche Persönlichkeit,
seine Schüchternheit steigerte sich im Laufe der Jahre bis zur
totalen Verschlossenheit. Schon während der Aufnahmen zum Erstling
"Five Leaves Left", der 1969 erschien (bezeichnenderweise
fünf Jahre vor Drakes Tod), konnte er kaum Kontakt zu den zahlreichen
Gastmusikern herstellen und gab praktisch keine Anweisungen. Er gab
im Laufe seiner Karriere nur ein einziges Interview und spielte nicht
mehr als 50 Konzerte bei denen er sich sichtlich unwohl gefühlt
haben soll. Augenzeugen berichten von einer grossen, schlaksigen,
über einer Gitarre zusammengekauerten Gestalt, die den Augenkontakt
zum Publikum scheute, ständig inmitten eines Songs abbrach um
dann einen anderen anzufangen und endlos viel Zeit damit verbrachte,
seine Gitarre umzustimmen, denn er spielte viele unterschiedliche,
oft sehr komplizierte Stimmungen. Man sagt, er soll Songtexte vergessen
oder eine Zeile immer wiederwiederholt, neben das Mikro gesungen und
dann vor sich hin gemurmelt haben. Niemals richtete er ein Wort an
das Publikum und am Ende schlich er grusslos davon, wie ein Hund mit
eingeklemmtem Schwanz.
Sein Nachlass besteht aus drei regulären Alben und einem spät
erschienenen vierten, das frühe Demoversionen bereits bekannter
Songs und vier bis dahin ungehörte beinhält, die er in seiner
allerletzten und verheerendsten Session einspielte.
Umwogen seine 69 und 70 erschienenen beiden Alben, "Five Leaves
Left" und "Bryter Layter" noch Romantik und jugendliche
Blüte, dazu, aufgrund der üppigen Instrumentierung und ausladender
Arrangements, auch ein Hauch von süsslichem Pomp, so sollte Pink
Moon im krassen Gegensatz dazu eins der spartanischsten Werke seiner
Zeit werden.
Vermutlich aus Enttäuschung über weitgehend ausbleibenden
Erfolg (den er natürlich, durch seine Weigerung die Alben durch
Liveauftritte oder Interviews zu promoten, auch selbst mitverschuldete),
ständigen Selbstzweifeln, schliesslich auch dem Wegzug seines
Produzenten Joe Boyd (eine der wenigen Personen, zu der Drake Vertrauen
hatte) und zuletzt sicherlich auch durch seine fortschreitende Isolierung,
die es kaum möglich machte, auch nur kurze Zeit mit fremden Menschen
zu verbringen, entstand sein Wunsch mit "Pink Moon" nun
ein wirklich sparsames dafür umso persönlicheres Album zu
machen.
Nachdem Drake bereits seit geraumer Zeit weder für seine Freunde
und Bekannten, ganz zu schweigen für seine Plattenbosse erreichbar
war, erschien er völlig überraschend bei John Wood, in dessen
Studio auch die ersten Recording Sessions stattgefunden hatten, und
kündigte an, das dritte Album aufnehmen zu wollen.
Dazu erschien er in zwei aufeinanderfolgenden Nächten gegen Mitternacht,
sass alleine im Aufnahmeraum und wollte sonst niemanden ausser John
Wood dabei haben. Zu sehr scheute er den Kontakt zu Menschen, dass
er sich sogar, genau wie der heute legendäre Blues-Gitarrist
Robert Johnson in seiner einzigen Session, mit dem Rücken zu
seinem Recording-Engineer setzte.
Es entstanden zwölf Songs, entblättert bis auf die Knochen
und von schmerzlicher Schönheit. Man kann sich Drake nur zu gut
vorstellen, mitten in der Nacht, über seiner Gitarre kauernd
mit seinen langen Fingern, die fiebrig und quietschend über die
Saiten rutschen.
Wir hören nichts als Drakes Gitarre und Drakes Stimme, nur auf
dem ersten Song klimpert ein Piano mit. Als John Wood ihn fragte,
was man vom aufgenommenen Material behalten sollte, sagte er: "Alles."
Die Platte dauert knapp 30 Minuten, nur ein Song überschreitet
die 3 Minuten, doch Nick meinte entschlossen: "That's it. That's
what I've got. That's how I want it to be. No overdubs. No nothing.
Voice and guitar."
Daher gab es auch nicht viel zu mixen und dennoch gilt das Album in
Kennerkreisen noch heute als eines der bestaufgenommenen analogen
Alben aller Zeiten. Die Mikrophonierung der Gitarre ist bis heute
vieldiskutiert, doch Wood sagte nur: "We just stuck a microphone
there and that was it." Man hört wirklich jedes Schnarren,
Zupfen und Saitenrutschen an der Gitarre, jeden Einatmer und teilweise
sogar wenn sich die Lippen lösen, bevor er zu singen beginnt.
Angesichts des desolaten Zustands in dem sich Nick damals schon befunden
haben muss, haben wir hier ein Ohrenzeugnis vor uns, das einen zerbrechenden
Menschen so nah und entblösst aufzeigt, dass es beinahe weh tut.
Man fühlt sich fast schon respektlos, als wäre man ihm zu
nahe getreten oder hätte ihm ein peinliches Geheimnis entlockt.
Verbreitet "Five Leaves Left" eine nächtliche Herbststimmung
mit dem Rauschen von nassen schweren ästen und Blättern,
eine Stimmung zwischen Schönheit und nackenhaaren aufstellendem
Gruseln und wirkt "Bryter Later" mit seinen angejazzten
Passagen am feinsinnigsten, so klingt "Pink Moon" einfach
nur einsam. Dennoch behält es die bedrückende Schönheit
Drakescher Kompositionen, die spätestens nach dem dritten Song
so gefangen nimmt, dass man einfach nicht abschalten kann.
Das Gitarrenspiel besticht durch äusserste Virtuosität,
die aber niemals nur dem Selbstzweck sondern nur dem Song dient, den
sie rhythmisch und immer sehr gleichmässig vorantreibt. Die Songs
haben einen geradezu gespenstischen Flow. Es gibt keine Pausen, keine
Breaks, kein Absetzen und wieder Aufnehmen, keine Übergänge,
sondern nur ein stetiges Fliessen, das sich wundervoll und unheimlich
zugleich anfühlt. Auch Drakes Gesang, der seine ungewöhnliche
Note über die Endsilben gewinnt, die er am liebsten verlängert
und in den nächsten Takt zieht, wirkt beruhigend und tröstend,
lässt aber immer wieder aufschrecken, als würde man sich
gegen eine unheilvolle Hypnose zur Wehr setzen.
Pink Moon fängt einfach an und hört einfach irgendwann auf.
Ohne Aufsehens, ohne Einleitung, ohne herbeigeführtes Ende. Es
gibt keine Steigerung, keine Dramaturgie, irgendwann ist es plötzlich
aus und dennoch denkt man: Das war's. Mehr hätte es nicht sein
müssen. Ganz genauso ist es richtig.
Grossartige Gerüchte ranken sich um das Auftauchen des Mastertapes
bei Island Records. Tatsache ist, dass Drake eines Tages in der Lobby
der Plattenfirma sass, mit einer grossen Schachtel auf dem Schoss.
Dort wurde er von einem der leitenden Angestellten entdeckt und in
sein Büro zum Tee eingeladen. Nachdem er eine halbe Stunde lang
dasass ohne etwas zu sagen, meinte er, dass es Zeit wäre zu gehen
und kurz später rief die Rezeption an, dass Drake eine Schachtel
dagelassen hätte auf der "Nick Drake – Pink Moon"
stand. Der Island-Manager rief bei John Wood an und fragte, was das
sei. "Das ist Nick Drakes neues Album." Daraufhin zogen
sie schnellstens eine Kopie und dann hörten sie es sich an. So
war es also beinahe dem Zufall überlassen, dass die Platte letztlich
erscheinen konnte.
Nick Drake war und bleibt eine der schönsten, eigenartigsten
und finstersten Figuren der britischen Musikszene. Pink Moon halte
ich für das geschlossenste und aufgrund der Umstände wirkungsvollste
seiner Alben. Am Liebsten höre ich allerdings "Five Leaves
Left" und darauf den Titel "River Man" (den ich natürlich
sofort mit dem Fährmann aus alten Sagen assozieren musste), das
mich mit seinem gespenstischen 5/4-Takt und dem nackenhaaraufstellenden
Einsatz der Streicher bei jedem Hören so in den Bann zieht, dass
ich mich immer wieder frage, ob ich jemals ein besseres Stück
Musik gehört habe. (Ralf, 2.6.06)
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