Platten 2010

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Circle Pit - Bruise Constellation | The Doozer - The Great Explorers | Dungen - Skit I Allt | The Pancakes - Volcanic Frog Island | Swim Bird Fly - Swim Bird Fly

Dungen - Skit I Allt (Subliminal Sounds, 2010) LP
Wuuuuunderschön. Ein Traum. Ich weiss nicht, ob ich jemals so eine weiche, schöne Gitarre gehört habe. Vorallem mit der Flöte zusammen bringen die Melodien rüber, deren Unschuldigkeit unter die Haut gehen wie der erste feuchte Kuss der ersten Liebe. Unfassbar, wie oft ich diese Platte in kürzester Zeit gehört habe. Im Prinzip lege ich die auf, dann drehe ich sie um und dann drehe ich sie wieder um und wenn ich sie wegstelle, krame ich sie ein paar Tage später wieder vor.
Mich spricht diese Musik total an, auch wenn ich kein Wort verstehe, da sie schwedisch singen. Der Sänger klingt ein wenig schepprig, fast wie die schwedische Ausgabe von Fred Mühlböck von Novalis oder der Sänger der ungarischen Omega. Eigentlich klingt Dungen tatsächlich auch ein wenig wie eine Ostblockband aus dem Jahre 1972. Die übertragene Romantik wirkt so kindlich empörungsfrei wie ein Lagerfeuer zwischen Plattenbauten. Die musikalische Qualität, kompositorisch, klanglich wie auch handwerklich ist sehr hoch. Kopiert wird nichts und niemand. Die Musik klingt nicht gänzlich neu, ich sehe allerdings eher bewegte Bilder als rockmusische Strukturen, und zieht daher keinerlei Referenzen. Und das ist das Wertvolle!
Skit I Allt ist bereits das sechste Dungen-Album!! In Schweden sahnen sie Preise ab. Eigentlich müssten sie in aller Munde sein und nicht solche überschätzten Epigonen wie beispielsweise die Fleet Foxes.
In den USA touren sie am meisten. Sie waren in Australien, Südamerika, sogar Russland, natürlich viel in Skandinavien, England und auch Holland. In Deutschland aber hatten sie bislang genau vier Auftritte (2006). Na toll!
(Ralf, 23.6.11)
Swim Bird Fly - Swim Bird Fly (Maria Records, 2010) CD
Das erste Album der Stuttgarter Band um die Sängerin und Gitarristin Barbara Padron-Hernandez und den Multi-Instrumentalisten und Produzenten Johnny Park, beide bekannt aus der gemeinsamen Vorgängerband Submarien.
Sie beschreiten hierbei den mutigen Weg des Rückzugs in ruhigere und experimentellere Gefilde. Weder die Kompositionen noch die Arrangements oder Instrumentierung suchen zu gefallen sondern widmen sich ausschliesslich der Kunst. Die Songs nehmen sich viel Zeit sich zu entwickeln und sind meist von vielschichtigen Soundscapes unterbaut, die hervorragend ins Gesamtbild gemischt sind. Die eigenständigen Kompositionen, die auf melancholisch-schönen Melodien aufbauen, sind besonders von der sehr persönlichen Stimme Barbaras und ihrer Fähigkeit geprägt, ganz eigenen ungewöhnlichen Wegen zu folgen. Das führt zu klammer und manchmal bedrückender Emotionalität, insbesondere durch die Verbundenheit der Sängerin zu ihren Texten, die sich vorallem mit der eigenen Dunkelheit und dem Abscheu gegen die seelische Verarmung der menschlichen Umwelt auseinandersetzen.
Die einzige, gelegentlich hörbare, Referenz die mir einfällt, ist Portishead.
Swim Bird Fly als Bandname spiegelt die widersprüchliche Tiefe, Vielfalt, Rätselhaftigkeit und Ungewöhnlichkeit der Band sehr gut wider.
Das Cover gefällt mir nicht besonders, da die depressive Kälte, die es verströmt der Musik einen Teil der Schönheit entzieht. Natürlich passt es aber sehr gut zu den weit in den Raum gestellten Feedbacks, Samples oder mit was auch immer die diese Backgrounds fabriziert haben, die sich als Rauschen und Flirren offenbaren, das die meisten Songs umgibt.
Live lässt die Band viel davon weg und überzeugt durch ihren minimalistischen Charm. Da wirkt die Platte fast überproduziert. Der ganze Hifi-Background wird reduziert auf zwei Gitarren und ein Drumset. Der Einsatz von Elektronika ist viel sparsamer. Das lässt mehr Nähe zur Band und ihren Gefühlen zu.
Sehr sympathisch übrigens auch die Demo-CD, die diesem Werk vorherging. Das Cover zeigt einen gezeichneten Vogel. Darüber klebt ein handbefestigter Käfig, den man wegklappen kann, um den Vogel zu befreien. Super Idee.
(Ralf, 14.8.11)

Circle Pit - Bruise Installation (Siltbreeze, 21.9.2010) LP
Als die legitimen Nachfolger von Royal Trux werden sie angepriesen, was ich leider als Beleidigung abtun muss und mir auch den Einstieg in diese Platte erschwerte. Gut, wir haben hier ebenfalls einen Jungen und ein Mädchen als Hauptakteuere der Band, und manchmal stimmt sie tatsächlich einen ähnliche zerfledderten Gesang an wie Jennifer Herrema und ... jagutjagut, es ist auch Underground Rock, aber die Qualität, die fordernd-zerstörerische Kraft, die Inspiration von Royal Trux hängt doch unter anderen Sternen. Daher ist der Vergleich fast lachhaft.
Zunächst nervten mich dann die nölenden Doppelstimmen der beiden, die immer einen halben Ton zu tief hängen, und immer wieder Song für Song dieselbe Melodiezeile wiederholen wie eine Endlosschleife. Das Schlagzeug rumpelt ziemlich, hat keinen Drive. Die Songs bemühen altbekannte Weisen. Bäh. Ich war verärgert und wollte die zweite Seite erst gar nicht mehr auflegen, tat es aus einem lächerlichen Gründlichkeitszwang heraus dann doch ... und erkannte den ersten Song wieder, den ich auch im Internet schon mal angehört hatte.
Huch, plötzliches Gefallen! Die ganze zweite Seite eigentlich. Ich hatte mich versöhnt, meine Gedanken an dämliche Vergleiche vergessen und fand dann doch, dass die wirklich nette Melodien haben. Wer Underground Rock Klangmarke 1972 mit punkiger Drei-Akkorde-Attitüde und schleifendem Gesang mag, vielleicht auch wer Melody-Punkrock der Neuzeit hört, aber den ganzen Gutelaune- und Hochglanz-Dreck satt hat und sich mal so richtig seiner abgründigen Wahrheit hingeben will, der sollte das hier mal ausprobieren. Wer von der dunklen Seite kommt, bekommt immer noch viel lumpiges Können, böse Texte und ein nettes New York Dolls Feeling, da Sound und Verkleidung des Sängers nirgendwo sonst zuhause sind. Sind übrigens aus Australien. Hätte man nicht gehört.
Achtung, es gibt nur 500 Exemplare. Zugreifen, wer Blut riecht.
(Ralf, 16.1.11)

The Doozer - The Great Explorers (Siltbreeze, 7.9.2010) LP
Ein Juwel im endlosen Meer bedeutungsloser zeitgenössicher Musik. Bin gerade ein wenig in der Musikkrise. Das was mich aus alten Zeiten interessiert, hab ich schon oder kann ich mir kaum noch leisten. Neues in alter Musik suche ich gerade vergeblich, Neues in neuer Musik ebenfalls, auch wenn das andere Gründe hat.
Doch in der Krise frisst auch der Teufel Fliegen und daher kauft sich der freundliche Herr mit dem Regenmantel gerade vermehrt neue Musik. Puh. Mühsames Unterfangen. Dem Musikunderground fehlt es deutlich an Weltbewegung, Wellen die Land abtragen, Winde die Röcke heben, Erdbeben die alte Bäume entwurzeln. Und was etwas taugt, wird mir dann schnell zu elektronisch. Da bin ich nicht so leicht zu begeistern. Ein leichtherzig furzender Roboter im Discobeat genügt mir da nicht. Tiefe in elektronischer Musik, das haben nur die wenigsten so hinbekommen.
Das One-Man-Unternehmen Doozer ist die glorreiche Ausnahme im Sumpf der Neuerscheinungen. The Great Explorer ist die erste Platte seit allen Platten von Captain Beefheart, die ich nach dem ersten Durchhören wieder sofort umdrehte und noch mal von vorne anhörte. "I Am Just A Being" singe ich gerade vor mich hin. Psych-Pop, grossartig und einfach, Syd Barrett (Doozer kommt auch aus Cambridge, ha) meets Daniel Johnston. "I'm too old for public transport"? Hab ich das etwa richtig verstanden? Wahnsinn!
Doozer ist wie ein verwunschener, ausser Kontrolle geratener Spielzeugladen aus dem 19. Jahrhundert, der sich durch einen harrypotterschen Weltenübergang versehentlich im Heute wiedergefunden hat, den aber kaum jemand kennt und wenn, dann nur ungern betritt, weil sich jeder darin rückwärts bewegt ohne es zu wollen. Eine wahrlich perfekte Produktion in ihrer "scheinbaren" Unperfekt- und Verschrobenheit. Ein Juwel. Ein Juwel. Ich vergass, dass es sowas gibt ... im Jahre 2010, auch wenn das Album als CD-only schon 2009 auf Pickled Egg erschien. Auch diese LP gibts nur 500 Mal. Also hurtig.
(Ralf, 16.1.11)


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