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Konzertbesprechungen 2011 |
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- 2018 - Aktuell
Big Sexy Noise (Stuttgart,
15.3.11) - Burn Baby Burn (München,
16.3.11) - Ceremony (Balingen, 13.4.11)
- Christy & Emily (Ravensburg, 26.3.11)
- Clap Your Hands Twice (Balingen, 22.1.11)
- Einstürzende Neubauten (München,
30./31.5.11) - Fehlfarben (Karlsruhe,
3.12.11) - P.J. Harvey (8.7.11 München)
- HTRK (London, 24.10.11) - Hysterese
(Balingen, 22.1.11) - Ja, Panik! (Schorndorf,
19.11.11) - Liberty Madness (Balingen, 22.1.11)
- Lost Rivers (Balingen, 13.4.11) - Pub
La Bomba (Balingen, 12.3.11) - Wovenhand
(Freiburg, 16.4.11) - Yesterday Shop (Balingen,
15.4.11)
Sa. 03.12.11 |
Fehlfarben
- Karlsruhe, Jazzclub (Schlachthof)
(200 Zuschauer): Ein wundervoller Peter im grauen Anzug, einem bemalten
Hemd, das sagte: "Ihr habt die Uhr, wir die Zeit.", eine
Band aus dem Gruselkabinett, aber nicht beängstigend sondern
sehr amüsant, sympathisch und daher lustbringend und eine unfassbar,
unglaublich, sensationell gute Schlagzeugerin. Kommentar Daniel: "Fehlfarben
2011 sind eine lebende und keine Nostalgie-Band." Es gibt jede
Menge neue Songs, die so gut sind wie die alten." Ja!
Ich bin total begeistert, das hatte ich so gar nicht erwartet und
dem vorallem aus gesetzteren Herrschaften bestehenden Publikum gefiel's
auch, denn die konnten sich kaum einkriegen, was die Fehlfarben mit
sehr grosser Genugtuung annahmen. Ein sehr sehr schönes, sehr
herzliches und sehr lustiges Konzert. Man sah ganz viel von unseren
Zähnen. (Ralf, 4.12.11)
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Sa. 19.11.11 |
Ja,
Panik - Schorndorf,
Manufaktur (300 Zuschauer)
Was anfing wie die Sisters of Mercy, in Nebel und kaltem Licht, wartete
mindestens eine halbe Stunde auf die ersehnte Verbindung zum Publikum.
Die Schorndorfer standen da und hatten Lust, aber Ja!Panik mussten
auch erstmal etwas auftauen.
Dann der Eisbrecher: Ein hemmungslos emotionaler Song, in dem jeder
der Jungs eine Strophe hatte um seine Liebe zu einer Person zu gestehen.
Wir mussten uns alle zurückhalten, um nicht wie die Kinder zu
schreien ... und taten es doch.
Ja, auch ich hatte Panik, auch wenn der Shoegazer-Wave-Pop der berliner
Wiener sonst gar nicht so mein Fall war. Musikalisch. Die Emotion
schon. Daher: Schöner Abend. (Ralf, 4.12.11)
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Mo. 24.10.11 |
HTRK
- London, The Garage (200 Zuschauer)
London Release Party für die dritte Platte der ursprünglich
in Melbourne ansässigen Band, deren Sängerin Jonnine die
Frau des Devastations-Sängers Conrad Standish ist. HTRK verbinden
New Wave und Industrial, sind mittlerweile sehr elektronisch, noch
düsterer als auf der letzten Platte und während des letzten
Konzerts auf dem ich sie gesehen habe, was daran liegen kann,
dass die Songs zu dieser Platte während der Trauerphase über
ihren gestorbenen Bassisten entstanden sind.
Nachwievor wabern, kratzen, flirren, stören und schweben die
grundlegenden Sounds, der kernige Bass, der sie aber in Formen gegossen
hatte, fehlt völlig. Dafür brummt ein elektronisches Relais,
meist so extrem, dass mir, als ich mir an der Bar auf der oberen Etage
ein Bier holte, die Fusssohlen vibrierten. Jonnines Gesang ist weiterhin
kein Gesang, sondern nur ein völlig gleichbleibendes Aufsagen
von merkwürdigen Texten, meist repetativ, wenige Zeilen oder
gar nur Worte. Gelegentlich haut sie dazu auf ein (mittlerweile elektronisches)
Tom.
Das Ganze ist sehr düster und schafft eine intensive Atmosphäre,
die trotz der Eintönigkeit, oder gerade deswegen, einnimmt. Die
Musiker fühlen. Was nach aussen wie Kälte und Coolness ankommt,
ist tiefes Gefühl, was die Besonderheit und Einzigartigkeit der
Band ausmacht, dieses Etwas, das niemand erklären kann.
Die Meute war vorallem auch cool und stylish. Offensichtlich zu cool
um zu applaudieren, denn das taten nur etwa ein Drittel (von der Lautstärke
und den umstehenden Genossen zu urteilen). Der Laden war geschätzte
dreiviertel voll und alle sahen gebannt zu, doch geklatscht hat kaum
einer und als es dann schnell und plötzlich vorbei war und die
beiden sich fast grusslos verdrückten (hey, war das nicht ihre
Releaseparty?), war auch innerhalb von 10 Minuten niemand mehr im
Saal. Merkwürdig. War das, weil es Montag war, war das weil irgendwas
an diesem Abend schief gelaufen war? Über Conrad, der den
Merch schmiss, fand Nathalie heraus, dass sich alles extrem verzögert
hatte und HTRK (sprich Haterock) vermutlich auch nicht ihr geplantes
Set spielen konnten. Machte uns nix, da wir eh zu spät und daher
gerade recht zu HTRK kamen.
Mir sind sie zu elektronisch geworden, das Düstere und Eintönige
ist ok, aber auch die elektronische Trommel verliert ihren Wumms-Moment.
Die Pauke mit Schlegel machte da früher wesentlich mehr her.
HTRK ist aber ohne Zweifel gerade einer der ganz angesagten, wenn
auch noch tief im Underground, Bands in London. Das Coole und Abweisende
kommt hier ziemlich gut an. Als kommerziell wird man HTRK auch kaum
bezeichnen können. Daher werden sie Underground bleiben, wenn
sie nicht gefälligere Elemente verwenden wollen, was die Herren
Kickin Ass natürlich gut heissen. Für mich ist es auch etwas
arty und das gefällt mir eben grade. (Ralf, 25.10.11)
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Fr. 08.07.11 |
P.J.
Harvey - München,
Circus Krone (2000 Zuschauer)
Ich bin ja ein Spätbewunderer der ungewöhnlichen britischen
Lyrikerin, Sängerin, Komponistin, Gitarristin, Pianistin und
seinem neuestem Autoharpistin (oder wie sagt man?). Und ich bin
auch eher ein Bewunderer ihres Spätwerks. Ihre ruhigeren, unpopuläreren
Momente gefallen mir wesentlich besser als ihre modern-rockigeren.
So ist das Urteil zu diesem Konzert auch schnell in Worte gefasst:
Purer Wahnsinn in jeder Hinsicht!
Man könnte sich lange darüber auslassen, wie wunderschön
Bühnenbild, Polly-Jeans Kleid und natürlich auch die ganze
musikalische Darbietung waren, die sich selbstverständlich
vorwiegend auf das aktuelle Werk "Let England Shake" konzentrierte.
Ich möchte aber hier vorallem auf einen Punkt eingehen, der
sich gleichermassen durch die Platte wie auch durch die Livedarbietung
zog:
Dieser leise, unaufdringliche, bescheidene, zarte und wenig effekthascherische
Sound von "Let England Shake" ist ein Weg, den ich mir wieder verstärkt
in der populären Musik wünschen würde, steht er doch in starkem
Kontrast zur Übertreibung und Superlativen-Hetze, die die Welt
und natürlich auch die Welt der Musik heutzutage beherrscht.
Aktuelle musikalische Werke werden bis zum letzten Quentchen nach
oben gemastert, Hauptsache lauter, fetter, brutaler. Sogar ein Nick
Cave sucht sein Glück derzeit mit dem Holzhammer und da tut
es besonders gut, ehemalige Mitstreiter und ähnlich gesinnte
Geister wieder Wege der Besinnlichkeit (Let England Shake wurde
auch in Dorset in einer alten Kirche aufgenommen) beschreiten zu
sehen, was keineswegs zu geringerer Kreativität und Qualität
führt, im Gegenteil. Die Konzentration aufs Eigentliche, der
Rückzug ins Leise, wird hier wieder gesucht, während alle
anderen sich gequält um noch extremere Aussenwirkung bemühen
und nur noch mit Pauken und Trompeten um ein schon völlig betäubtes
Publikum buhlen.
PJ Harvey, die sich ihrer Aussenwahrnehmung natürlich absolut
bewusst ist und auch gezielt damit arbeitet, setzt sie aber eben
auf eine Art und Weise ein, die es ihr erlaubt, das ganze Konzert
über nur wenige Schritte zu gehen. Nämlich die aus dem
Dunkel ins Licht und wieder zurück. Ihr phantasievolles Kleid
ist effektvoll, erstaunt, fasziniert, erschlägt aber nicht.
Daneben die Herren Mitstreiter. Gestandene aber bescheidene Männer,
die das Licht nicht mehr brauchen oder noch nie gewollt haben, ohne
die das alles aber nicht möglich gewesen wäre. Es sind
nur drei, mehr braucht es nicht. Die gleiche kleine Gemeinschaft,
die die Platte aufgenommen hat und nun den Saal bannt: John Parish,
PJs langjähriger Patron an Gitarre und Tasteninstrumenten,
der aber fast verschwindet neben dem grossen Unscheinbaren: Mick
Harvey, dessen Einfluss auf diese und andere Musiken niemals hoch
genug eingeschätzt werden kann, da er gerne aus der Tiefe wirkt
und das Rampenlicht ihm, auch im Circus Krone, eher unangenehm ist.
Wenn sie am Ende dastehen und beklatscht werden, windet er den Hals
im Kragen, zieht Augen und Brauen zusammen und hofft, dass das gleich
aufhört.
Der dritte im Bunde ist der Drummer Jean-Marc Butty, optisch durch
seine hingebungsvolle Art sehr auffällig aber total unaufdringlich.
Diese Band vermittelt neben Sympathie und Kraft auch Wahrheit, das
abhandengekommene Gut.
Let England Shake ist eine der fruchtbarsten Kollaborationen des
Jahres 2010, das Konzert dazu ein Schmaus. Sehr schön auch
die Kurzfilme von Seamus Murphy zum Album.
Achja und nochwas: Lost Rivers nach dem Konzert getroffen. Tja,
gute Leute wissen halt was gut ist.
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Mo. 30.05.11 Di. 31.05.11 |
Three
Decades of Einstürzende Neubauten - Doppel-Event
- München,
Muffathalle (Mo. ca. 1000 Zuschauer, Di. ca. 350
Zuschauer) (Das Foto ist nicht vom Konzert in München,
sondern by Gorismu, Finland, sah aber bei uns genau gleich aus..)
30 Jahre Neubauten, ein zweitägiges Ereignis mit einem normalen
Konzert am ersten Tag, einem Konzert mit einer besonderen Songauswahl
am zweiten Tag, dazu Konzerte von Solo-Projekten, die in jeder Stadt
neu zusammengestellt wurden.
30 Jahre Neubauten und wer weiss wielange noch. Daher war dies hier
Pflicht für mich, sind die Neubauten doch seit auch schon über
20 Jahren meine Lieblings-Live-Band.
Erster Abend: Blixa und Alex kommen schwerbäuchig
und barfüssig auf die Bühne stolziert und spielen sich
durch ein "ganz normales" aktuelles Liveset, das grösstenteils
aus jüngeren Songs besteht. Nicht anders als in den letzten
Jahren live von den Neubauten zu hören.
Alles ist wie immer. Blixa grantelt herablassend und cretinierend
an den Monitormixer und den Einwürfen des Publikums herum.
Dass der nach sovielen Jahren immer noch nicht an den heraufgeschrieen
Kommentaren aufreibt, provoziert das Volk ja geradezu und steht
auch immer noch im Kontrast zu seinem überheblichen Auftreten.
Es nimmt schon Wunder und hat eigentlich was Peinliches, das ihn
aber umso liebenswerter macht. Das fiel mir diesmal eigentlich zum
erstenmal so ganz intensiv auf: wie unbedingt meine Sympathie für
diese Personen ist, die die Einstürzenden Neubauten sind. Nach
so vielen Jahren kommen die einem vor wie vertraute Freunde. Ich
liebe jeden von ihnen mit ganzem Herzen, stark und unfehlbar. Diese
Band ist seit so unglaublich vielen Jahren das Wertvollste, das
Wichtigste, das Beste, das so fast einzig Aussprechliche, was deutsche
populär-musikalische Hochkultur zu bieten hat. Ohne die Neubauten
wäre Deutschland tot. Maustot.
Man muss sie einfach auch live gesehen haben, um den Sound überhaupt
mal zu verstehen. Das kriegt ja keine Platte auf keiner Hausstereoanlage
so übertragen. Diese vollen tiefen Töne, auch wenn nur
eine Glocke angeschlagen wird. Das hat etwas Ehernes, Archaisches,
Verfeinerndes. Du sinkst da völlig hinein, wirst als Mensch
unwichtig.
Bei "Nagorny Karabach" vom noch aktuellen Album "Alles
wieder offen" bekomme ich eine Gänsehaut, die mir vom
Genick bis in die Beine zieht, dass ich eine ganze Weile nicht mehr
aufhöre zu frieren. Das sind sie. MEINE Neubauten.
Nachdem ich es etwa eine Stunde nahe der Bühne (fast sogar
die Position des Fotos) und in ner Menge nicht ausschliesslich sympathischer
Münchner ausgehalten habe, wird mir der Durst unerträglich
und ausserdem habe ich meinen Platz zu weit links vor der Bühne
gewählt. Ich kann Unruh nicht sehen und natürlich will
man ihn sehen, die gute Seele der Band, der, wenn er mal richtig
loslegt, die halbe Bühne im Staub versinken lässt, dass
sich sogar Bargeld umdreht und zufrieden nickt.
Also beschliesse ich, den Platz zu wechseln und mir die Sache von
einer anderen Seite anzusehen. Als ich mich nach hinten durchkämpfe
wird mir klar, dass der Laden bis zum allerletzten Platz voll ist.
Erst zwei Meter vor der Bar wird das Leib-an-Leib etwas aufgelockert.
Die Seite zu wechseln ist unmöglich. Also trinke ich viele
Biere in Barnähe und dränge mich immer soweit in die Menge,
dass mich vorbeipressende bayerische Saumägen nicht umrammen.
Die Neubauten spielen inklusive zwei Zugabenblöcken zweieinhalb
Stunden. Am Ende des ersten Zugabenblocks "Silence is Sexy"
denke ich noch, dass sie es schaffen, sie schaffen es, sie schaffen
es, sie schaffen es, sie schaffen es 1000 Leute zum Schweigen zu
bringen. Doch dann schreien halt doch fünf Deppen in die halbminütige
Stille hinein. Ich meine ... es geht einfach nicht: Man kann nicht
tausend Leute stillhalten. Da sind immer ein paar drin, die halten
das einfach nicht aus. Aber es hat aber immerhin fast funktioniert.
Als sie zur zweiten Zugabe reinkommen, echauffiert sich Bargeld
erstmal grandios und völlig unsinnig darüber. Wie konservativ
die Münchner denn sein müssen, dass sie es nicht schaffen,
diese fünf Typen auszusortieren, auf die Fresse zu hauen ...
Hätten sie vorher gewusst, welches die Typen sind, die dann
losschreien werden, die Münchner, inklusive aller Nichtmünchner,
ich, viele Italiener, Spanier und sonstwas für Sprachen ich
wahrgenommen habe, hätten sie das bestimmt getan, lieber Blixa.
Dann ist es aus. Ich warte bis der Saal fast leer ist. Trinke noch
drei Biere und sinniere darüber, wie sehr es für die Qualität
der Neubauten spricht, dass sie trotz ihrer Vorbildfunktion, ihres
Kultstatus, absolut unkopiert geblieben sind. Alle guten Kapellen
vergehen doch daran, dass ihre Kopien schlechter und berühmter
sind als sie selbst und irgendwann keiner mehr weiss, wie das eigentlich
anfing. Eine derartige Konfrontation ist den Neubauten komplett
erspart geblieben. Und das ist ein weiterer Punkt für ihre
sprichwörtliche Einzigartigkeit.
Dann torkle ich von dannen, verirre mich glückselig und schwertrunken.
Zweiter Abend: Erst Tage später
im Internet wird mir klar, warum an diesem zweiten Abend nicht halb
soviele Leute da sind wie am ersten. Hätte ich selbst nur die
Möglichkeit gehabt an einem Abend teilzuhaben, hätte ich
den zweiten erwählt, aber die Ankündigung, das sei "gar
kein richtiges" Konzert liess wohl viele Leute abschrecken.
Warum auch immer. Ich kann mich wohl nicht in jemanden reinversetzen,
der die Neubauten noch nie gesehen hat.
Ich war wieder zeitig da und suchte diesmal auszuchecken, obs nicht
im Cafe ein besseres Bier gab als im Saal. Volltreffer. Genau dem
war so. Hier gabs auch das Dunkle, dem ich so wohlgesonnen bin.
Und während ich noch das zweite schlürfte und nur ganz
wenige Menschen die Luft wegatmeten, wurde ein Film angeworfen,
der kommentarlos und ohne für mich erkennbaren Zusammenhang,
zumindest ohne Chronologie, allerlei Neubauten-Dokumente zusammenfasste.
Auch bisher nicht Gesehenes. Daher blieb ich hier noch auf weitere
Dunkle und liess mir selbst vor Augen führen was ich an den
Neubauten doch alles so liebe.
Ja, Liebe braucht stetige Bestätigung und Erneuerung und meine
Beziehung zu den Einstürzenden Neubauten erfreut sich absolut
bester Gesundheit.
Zwischendurch äugte ich ängstlich in den grossen Saal
um sicherzustellen, dass das Konzert nicht ohne mich losging und
auch noch nicht zuviele Nerds die Nähe zur Bühne verstellten.
Doch nix war los. Erst fünf Minuten vor offiziellem Beginn
eiste ich mich also los, positionierte mich problemlos und konnte
das komplette Konzert lang meinen Dunkles-Becher auf dem Bühneboden
tanzen lassen (als ich herausgefunden hatte, dass man das auch mit
rein nehmen durfte, sah ich keinen Grund mehr im Saal auf Plörre
zu setzen, wenn es für 50 Cent mehr - Trinkgeld inbegriffen
- Wohlschmeckendes ohne Anstehen bei gleichbleibender Entfernung
zur Bühne gab).
Also: Neubauten genial auch am zweiten Tag. Wir hörten neben
"Seele brennt", "Sand" und einigem Obskuren,
das ich nicht alles kannte, auch allerlei Anekdoten. Das Publikum
war durchaus erlesener und interessierter. Das schien auch den Akteuren
zu gefallen, denen es sichtbar lieber war, vor einem halbvollen
Saal zu spielen, dafür aber auf wahres Interesse zu stossen.
Nach den Neubauten wurde es dann allerdings leider ungemütlich.
Die Bühne wurde komplett geleert. Komplett! Jedes Staubkorn
wurde entfernt und bei dem Krempel den die da alles rumfahren haben,
dauerte das natürlich eine Zeitlang. War ja lustig dabei zuzusehen,
doch wie die Bühne immer leerer wurde, verschwand auch etwas
Vertrautes, Heimeliges.
Jochen Arbeits Stack blieb als einziges stehen und daneben wurden
zwei Tische aufgebaut, ein Laptop und allerlei KeineAhnungWas, denn
von unten konnte man nicht auf den Tisch sehen. Ich stellte mir
ein Gewirr an Kabeln und merkwürdiger Elektronika vor. Ein
unscheinbarer Typ machte dran rum und als dann irgendwann das Licht
ausging, wurde er einem als "Scanner aus London" vorgestellt,
der, als mir unbekannter Elektro-Akkustiker, als Partner von Jochen
Arbeit das Projekt "Soundscapes" bildete.
Ich meine, der Saal hatte sich inzwischen weiter geleert, eine Tendenz,
die sich fortsetzte. Was die beiden zu hören gaben, war erwartungsgemäss
elektronischer Natur, super auf alle Fälle, faszinierende,
interessante Sounds, manchmal mit ansetzendem Beat, glücklicherweise
meist aber nicht. Was Scanner auch immer da auf seinem Tisch tat,
Arbeit ergänzte das atmosphärisch mit der Gitarre, stand
dann aber gelegentlich auch seitlich an den Tischen und drückte
da auch auf irgendwelchen Drückern rum. Das sah insgesamt blöd
und nicht nachvollziehbar aus. Livekonzerte leben ja davon, dass
man sieht, was die Akteure veranstalten. Hätte man wenigstens
gesehen, was da auf den Tischen vor sich geht, wäre das vielleicht
noch irgendwie interessant gewesen, so war es aber nach einer Weile
ermüdend. Das Licht mühte sich, Atmosphäre zum Sound
zu schaffen, doch das konnte auf Dauer nicht retten, was die beiden
Soundscapler vermissen liessen.
Ich liess mich also immer öfter im Cafe blicken, was irgendwann
dann doch auffällig wurde, denn der Barkeeper griente mich
schon durchdringend an und nötigte mich mit jedem weiteren
Bier einen zusätzlichen Jägermeister mit ihm zu verdrücken.
Ich war aber noch soweit erinnerungsfähig, dass mir der Kontrollverlust
des Vorabends einfiel und mich vorsichtiger werden liess.
Drinnen wurde mir das Gedröhne nicht kurzweiliger. Bei allem
Respekt, hätte ich eine Uhr gehabt, hätte ich angefangen,
draufzukucken. Der Unansehnlichkeit zu entweichen, hockte ich mich
irgendwann im halbhinteren Saal an die Wand auf den Boden und starrte
gewiss nicht auf die Bühne, um so der Musik mehr abzugewinnen.
Funktionierte zwar, dennoch spielten sie zu lang. Der Abend dauerte
jetzt schon länger an als der vorige und zeigte bereits deutliche
Auflösungserscheinungen. Mag sein, dass die Londoner da länger
durchhalten, aber ein durchschnittlicher Münchner Bürger,
auch wenn er Neubauten-Fan ist, pflegt den Dienstagabend nicht zu
überstrapazieren.
Als Soundscape dann, es tut mir weh, aber ich muss dieses Wort einfach
benutzen, ENDLICH aufhörten, erwartete ich angesichts der Länge
des bisherigen Programms beinahe das Ende des Abends und war doch
leicht überrascht, als noch was kam. Mich hatte schon den ganzen
Abend die halbseitige Absperrung an der linken Hallenwand gewundert.
Günstigerweise stand ich im Weg rum und musste mit den Worten
"Dürfen wir mal, jetzt kommt nämlich die Überraschung!"
aus dem Weg gebeten werden, als ein paar grosse starke Jungs sich
an dieser Absperrung zu schaffen machten und dahinter dutzende Tische
hervorkramten und in den folgenden Minuten auf der Bühne (daher
musste diese natürlich auch komplett geräumt werden) und
im halben Saal verteilten. Auf den Tischen: Trommeln. Nichts als
Trommeln und Becken. Man trat zurück, sah zu , wunderte sich
und dann traute man sich. Immer mehr Leute näherten sich diesen
Tischen und fingen an mit den Händen auf den Trommeln zu patschen,
sogar ich.
Da kam Andrew Unruh, dessen Projekt "Beat The Drum" nun
bevorstand und sagte auf seine unnachahmlich lockere Art: "Wartet,
wir verteilen gleich Sticks und spielen gleich Musik ein, die als
Anregung dient und dann sehen wir einfach mal, was passiert ..."
Gesagt getan. Eine Minuten später trommelten die verbliebenden
150 Leute wie die Berserker. Die eingespielten Musiken waren nicht
sooooooo sehr nach meiner Facon. Teils bekannte Hits, teils Techno,
teils auch ganz ok, unterm Strich aber hätte hier eigenes Material
doch die Würze ausgemacht.
Überall donnerte es also, jeder für sich, keine gemeinsame
Rhythmik. Unruh turnte immer irgendwo dazwischen rum und machte
energievoll mit (das Foto ist etwas verwackelt, zeigt aber Unruh
leuchtend inmitten seiner Epigonen und bringt viel von der Dynamik
der Aktion wider). Nette Idee, bei aller Logistik aber vielleicht
doch nicht gut genug zuende gedacht. Das ging so eine halbe Stunde,
dreiviertel Stunde, ganze Stunde und ich suchte wo sich bei mir
etwas entzündete. Doch auch mit der Zeit war ich wenig entflammt.
Ich latschte aussen rum, mitten durch, sah mir das von hinten und
von vorne aus an. Die Trommler schienen mir zu sehr mit sich selbst
beschäftigt, wie Kinder. Versunken, ohne Blick aufs Ganze.
Am Ende jeder Runde, schritt Andrew wie der Kammerjäger aus
Hameln (oder wie hiess der?), seine Stöcke wedelnd am Rand
der Bühne entlang und kündete ein neues Stück an.
Ich hatte nicht das Gefühl, dass ihn jemand beachtete. Es wurde
spät. Mein Impuls abzuhauen wurde immer grösser. Es waren
ausser mir und zwölf anderen nur noch Trommler im Saal. Allerdings
war wirklich auch jeder letzte Trommelplatz besetzt. Und wer einmal
angefangen hatte, der hörte nimmer auf, auch wenn sie entweder
völlig in Trance, manchmal auch scheinbar gelangweilt und irgendwann
auch erschöpft wie Fliessbandarbeiter immer nur weiter machten,
weiter machten, weiter machten. Einer kriegte sogar Beinkrämpfe
aber keiner half ihm. Wahrscheinlich war genau das dann doch das
Ding bei der Geschichte. Ich beschloss noch mal einen Song zu warten,
mal sehen, ob nicht doch noch was Interessantes passierte, doch
als Unruh dann irgendwann Kartons hinstellte und auf dem Boden liegende
Sticks einsammelte, war mir klar, dass es nun wohl nur noch drum
ging, das Ganze wieder irgendwie zu stoppen. Und so gerne ich das
auch noch miterlebt hätte ... es war schon halb drei oder so.
Der Barkeeper im Cafe wurde mir endgültig unheimlich und ich
hatte schon zwei Biere aus dem Saal geholt und war einfach durch
mit diesem Abend.
Drei Dekaden Neubauten. Was blieb? Zwei wundervolle Abende und die
Gewissheit, dass die Neubauten auch vier Jahre nach ihrem letzten
Album noch sehr sehr lebendig sind. Schade wäre es natürlich,
wenn sie sich gänzlich in ihre Soloprojekte zurückziehen
würden. Ja. Ich hoffe es noch nicht, habe diesem Event aber
durchaus aus genau dieser Angst heraus so viel Beachtung geschenkt.
Wohlahnend. Bitte noch nicht!
Setlist reguläres Set, 1. Tag |
Setliste Sideshow, 2. Tag |
The Garden
Befindlichkeit des Landes(Ufo,Rampe, Überl.)
Von Wegen
Die Interimsliebenden
Nagorny Karabach
Dead Friends
Unvollständigkeit
Installation # 1
Ich Hatte Ein Wort
Let´s do it DaDa
Haus der Lüge / Noise / Rampe
Sabrina
Susej
ENCORE I:
Headcleaner
Silence is Sexy
ENCORE II:
Redukt
Total Eclipse of the Sun
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Ein leichtes leises Saeuseln
Armenia / Rampe
Grundstück
November / sie Lächelt
Seele brennt
Sand |
(Ralf, 18.6.11)
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Sa. 16.04.11 |
Wovenhand
- Freiburg,
Jazzhaus: Whoa! Schon lange nichts derart Beeindruckendes
mehr gesehen. David Eugene Edwards kreiiert seine eigene musikalische
und geistige Welt. Sitzt da völlig erhaben und eigenwillig
auf seinem Stuhl, ungeachtet was sonst so in der Welt vor sich geht.
Der Enkel eines Wanderpredigers, der längere Teile seiner Kindheit
damit verbracht hat, mit dem Grossvater von Stadt zu Stadt zu ziehen,
ist versunken im Universum biblischer Botschaften. Doch über
sich fühlt er das spirituelle Erbe der amerikanischen Ureinwohner
und unter sich das Land, das einst niemandem gehörte und doch
jemandem genommen wurde. Dies alles spiegelt sich in seiner Musik
und seinen Worten wieder, ist gehaltvoll, tiefgehend und manchmal
düster. Darin sieht Edwards aber nur die Seriösität
seines Schaffens, das er eben nicht dazu macht, damit irgendjemand
einfach nur oberflächlichen Spass haben kann.
Edwards ist ein Star, eine äusserst charismatische Figur, musikalisch
wie persönlich. Wieviel davon Image ist und wieviel er selbst,
weiss ich nicht. Jedenfalls ist das doch genau was wir sehen möchten.
Langweilern begegne ich jeden Tag wenn ich in den Spiegel sehe.
Seine Gestik auf der Bühne, seine Bewegungen haben etwas Irres,
Bedrohliches, aber auch Anziehendes. Seine Versunkenheit wird nur
ab und an durch einen fürchterlichen Blick ins Publikum unterbrochen,
was eine vollkommene Entrückheit andeuten könnte, vielleicht
aber auch Kalkül ist. Sehr wahrscheinlich irgendwas in der
Mitte. Jedenfalls macht das Spass und Angst gleichzeitig. Und das
war doch schon immer die Anziehungskraft des Rock'n'Roll. Dazu spricht
mich seine Musik geradezu unerhört an.
Von den stets eingespielten unheilvollen Geräuschen von Edwards
Aufnahmegeräten unterlegt, bauen sich langsam, sehr langsam
die Songs auf. Dazwischen lange Passagen, Geräusche, Töne
vom Band und der Orgel und immer wiederkehrende Textpassagen, fast
rituell. Er spricht, singt, oft weit vom Mikrofon entfernt, trommelt
auf seinem Gitarrenkorpus und manchmal steht einfach nur ein zitterndes
Flirren im Saal, kein Ton mehr, nur noch Spannung. Und der ganze
Saal ist ergriffen, kein einziger brabbelt hier mehr.
Durch das Brechen der Songstrukturen entsteht so ein Konzert, das
nur als Ganzes zu verstehen ist. Im letzten Dezember gaben Wovenhand
in der Roepean Kirche in Ottersum (NL) mit einer leicht variierten
instrumentalen Besetzung ein Konzert, das im Februar im Rockpalast
zu sehen war. Ich hab mir die Roepaen Show erst nach dem Konzert
hier in Freiburg angesehen. Sie waren nicht gleich, aber recht ähnlich.
Nur wenige Songs des aktuellen Albums, ganz vereinzelte Songs von
früheren Alben, vieles noch nie gehört. Inwieweit sich
diese Konzerte von üblichen Wovenhand Shows unterscheiden weiss
ich leider nicht. Es dreht sich aber ganz sicher nicht um normale
Promo-Konzerte. Dafür wurden zu wenige Songs des aktuellen
Albums "The Threshing Floor" gespielt. Ich hatte das Gefühl,
dass diese Shows thematisch waren, eine tiefe Verwurzelung zum indianischen
Kulturgut hatten und extra eingeprobt wurden. Es macht auch wenig
Sinn, dass Wovenhand im November/Dezember auf Europatour waren und
im April nochmal für wenige Shows eingeflogen wurden. Sicher
nicht, um dasselbe nochmals zu spielen wie vor einem knappen halben
Jahr. Wer mehr darüber weiss, darf mir gerne schreiben. Dann
werde ich diese Eindrücke hier mit einfliessen lassen. Das
Internet wusste jedenfalls nix Genaueres.
Dies war jedenfalls ein wundervolles ergreifendes Konzert.
(Ralf, 29.4.11)
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Fr. 15.04.11 |
Yesterday
Shop - Sonnenkeller,
Balingen: Die Wiederkehr zweier Balinger Jungs (ehemals
Nice-Haircut-Baby) mit ihren neuen Kollegen brachte uns luftigen Wave
moderner britischer Prägung. Sphärische Gitarren, viel Synth-Gewabere,
wimpiger Gesang und ein Laptop auf dem mitten über die Bühne
gestellten Biertisch, das offensichtlich deutlich zum Sound beitrug.
So ganz genau hab ich das nicht beobachtet. Es waren zuviele ganz
kleine Menschen da, von denen ich mich, durch deren unruhigen Art
mehr irritieren liess und die mich immer wieder von meiner Konzentration
auf die Band ablenkten.
Die Band ist sehr gut, hat einen ausgezeichneten Sänger, ist
vielleicht nur noch etwas zu sehr an Vorbildern orientiert, die wohl
im englischen Shoegazer-Gefilde liegen, wobei mir erstmal jemand erklären
muss, was Shoegazer denn eigentlich bedeutet. Das war in den 80ern
mal die Beleidigung für NewWave-Bands, die vor lauter Depression
und Understatement nur auf den Boden oder eben ihre Schuhe sahen.
Das Gegenteil von Showcase quasi. Wurde dann natürlich als Anti-Haltung
glorifiziert.
Bei Yesterday Shop ist die negativ-düstere Haltung weitgehendst
verschwunden, die Stimmung ist süsslicher, verträumter,
eher auf liebliche Art traurig. Da haben allerdings auch in den 80ern
schon viele der 4AD-Bands vorgearbeitet, bspw. die Cocteau Twins,
die die engen Grenzen des Wave weit überschritten und eine Musik
kreiiert haben, die heute noch unerreicht ist.
Bei Yesterday Shop musste ich sehr an Jeniferever aus Schweden denken,
die wir mal vor drei
vier Jahren in London sahen und die augenblicklich auch wieder
den europäischen Kontinent touren. (Ralf, 23.4.11)
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Mi. 13.04.11 |
Ceremony,
Lost
Rivers - Sonnenkeller,
Balingen: Das amerikanisch-deutsche Tourgespann
auf Durchreise im heimischen Sonnenkeller. Ceremony spielte zuerst.
Sie sind eigentlich fast gleich wie die Lost Rivers, benutzten sogar
deren Equipment und damit meine ich nicht nur die Backline, sondern
sogar die Lightshow, die bei den Lost Rivers ja nur aus Strobos
besteht, und das komplette Effektboard der Gitarre.
Wir haben also zweimal auf Basis einer Wand von Feedbacks, Verzerrung,
Halls und Echos wavige Harmonien und Gesänge, monotone Rhythmen
und sich wiederholende Basslines.
Und wenn sich zwei Bands so ähnlich sind, dann darf (oder muss)
man sogar Vergleiche anstellen. Also:
1. Ceremony haben den melodiöseren Gesang, können etwas
besser singen, teils sogar mit Chorgesang, was etwas mehr Variation
in den Gesamtsound bringt.
2. Ceremonys Rhythmen sind treibender als bei Lost Rivers, doch
wie wir anschliessend feststellen sollten, driftet LR nun auch in
diese Richtung. Ich fand die etwas sperrigeren Drums ihrer Frühphase
besser weil experimenteller.
3. Die Lost Rivers haben den besseren Bandnamen.
4. Die Lost Rivers haben optischen Style, während Ceremony
in Säcken und komischen Turnschuhen dastehen.
Sollte ich wählen dürfen, würde ich also immer noch
die Lost Rivers vorziehen, auch wenn sie mir, wie gesagt, langsam
zu sehr der traditionellen Wave-Rhythmik folgen. Das ist aber Jammern
auf hohem Niveau. Die Lost Rivers sind immer noch eine der interessanteren
Bands der Region. Da sie aber schon viele, manchmal auch sehr markante,
Änderungen in ihrer noch kurzen Karriere durchlaufen haben,
ist man immer auf der Lauer, was der nächste Sommer bei ihnen
bringt.
Fazit: Man braucht einfach die ganzen ausländischen Bands nicht,
solange die eigenen genausogut oder sogar noch besser sind.
(Ralf, 23.4.11)
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Sa. 26.03.11 |
Christy
& Emily - Ravensburg,
Balthes (ca. 120 Zuschauer, knallevoll)
Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Die Schlagzeugerin war
schuld. Dabei dachte ich, dass Emily und Christy (das New Yorker Duo,
das seine letzte Platte bei Irmler - Faust, Klangbad - aufgenommen
hat) gar keine Schlagzeugbegleitung haben. Als ich im überfüllten
Balthes ankam, stellte sich erstmal heraus, dass ich die Vorband Flufaffair,
die ich eigentlich unbedingt sehen wollte, schon verpasst hatte und
eine Frau alleine auf der Bühne stand und ganz ruhig Gitarre
spielte und sang. Es dauerte einen Moment, bis ich mich akklimatisiert
hatte und mir einen halbwegs passablen Platz in der Meute erdrückt
hatte. Dann aber stellte sich heraus, dass das ganz seltsame interessant
verwobene Songs waren, gespielt auf einer linksrum gehaltenen Gitarre
mit normal aufgezogenen Saiten. Und wie gut ... UNGLAUBLICH! Die Finger
krakelten über das Griffbrett, zwängten sich in Griffe,
die ein normaler Mensch normalerweise nicht zu sehen bekommt. Sowas
kann einem ja auch keiner beibringen. Wer links spielt, keine Linkshändergitarre
nimmt und noch nicht mal die Saiten umspannt, der wird zwangläufig
Autodidakt. Wahnsinn, was die Dame dann dabei zustande bekam.
Ja, und nach ein paar Songs sagte sie dann, "OK, nun geh ich
mal nach hinten, ich spiel nämlich bei Christy und Emily Schlagzeug".
Gesagt getan. Die beiden Hauptakteure gesellten sich dazu, ebenso
wie ein Bassist. Auf dieser Tour, und nun wohl als feste Begleiter
auch auf der nächsten Platte, präsentieren sich Christy
& Emily also nun als komplette Rock-Besetzung. Emily spielt Orgel
und singt, Christy spielt Gitarre und singt.
Wir hören ruhige einehmende Indie-Kleinoden mit Hang zum Ungewöhnlichen,
Avandgardistischen. Mir gefiel nicht jeder Song, doch im Ganzen fand
ich's am Ende richtig toll. Dabei hab ich nur auf die Schlagzeugerin
gekuckt, denn diese Frau ist ein Multitalent. Sie spielte HERVORRAGEND.
Ich hab schon lange kein so interessantes Drumming mehr gehört
und gesehen. Sie schaffte es jedem Song genau die richtigen Akzente
herauszuarbeiten, um somit jeden Song auch wirklich zu bereichern.
Das Schlagzeug wurde zum gleichwertigen Instrument, nicht nur Begleitung.
Und in jedem Song spielte sie anders. Das war für mich das ganz
besonders Herausragende an Christy und Emily, auch wenn es weder Christy
noch Emily waren.
Die neue Drummerin ist hier schon links im Bild zu sehen. (Ralf,
22.4.11)
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Mi. 16.03.11 |
Burn Baby Burn Tour -
München,
Muffat Ampere (ca. 70 Zuschauer)
Ein Abend der Superlative: Top-Quality Entertainment, überraschend,
gruselig, lustig, unfassbar. Wir haben gelacht und wir haben uns
gefürchtet. Mehr konnte man nicht erwarten, auch wenn man dieses
Ereignis leider nur in intim-zurückhaltender Atmosphäre
feiern durfte.
Vorweg war uns nicht wirklich klar, was es zu sehen geben sollte.
Angekündigt waren Alex Hacke (Einstürzende Neubauten),
der dieser Tage mit seiner Frau Danielle de Picciotto eine neue
LP als Hitman's
Heel veröffentlichte, Kid
Congo Powers (das alles schlagende Argument, das mich die Eintrittskarten
in panischem Aktionismus bestellen liess, fast als müsste man
jede Sekunde damit rechnen, dass alles ausverkauft ist. Wem muss
ich Kid Congo Powers erklären? Kid ist legendärer Gitarrist
beim Gun Club, den Cramps, bei Nick Caves Bad Seeds, den Divine
Horsemen und mehr. Solltest Du keine dieser Bands kennen, dann bist
Du entweder sehr jung und wirst auf der Stelle alles Menschmögliche
unternehmen alle diese Bands kennenzulernen oder der Zugriff auf
diese Website wird für Dich in Kürze automatisch gesperrt),
eine mir nicht bekannte, aber wohl umso legendärere Person
namens Khan und die mir ebenfalls vorher nicht bekannte Julee Cruise
... noch nicht.
Aber von Beginn an: Spärlich spärlich fand sich das Publikum
ein ... und es wurde nicht besser. Ich würde mal sagen, zieht
man die Gästeliste ab, waren das kaum 30-40 Leute. Wenn man
bedenkt, dass dies ausser Berlin der einzige Auftritt dieses einzigartigen
Ensembles in Deutschland war, könnte man das eine glatte Schande
nennen. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass die Leute momentan
überhaupt gar nichts interessiert, ausser vielleicht die spassgesellschaftskonformen
Massenveranstaltungen. Musikalische Kunst aber ... das zieht momentan
nicht. Ich glaube, wir befinden uns derzeit in einem historischen
Vakuum, einer musikalischen Eiszeit. Alles langweilt, nichts reisst
vom Hocker. Die Leute warten auf die neuen Stones oder wegen mir
den neuen Curt Cobain, auf irgendwas, das sie mit Urgewalt aus ihrer
Lethargie reisst. Und Hacke und Co. sind das bei allem Respekt natürlich
auch nicht. Wollen sie auch gar nicht sein. Dennoch eilt diesem
Line-Up eigentlich soviel Credibility voraus, dass ich mich für
alle mitschämte, die nicht da waren. Wie konnte man das dem
armen Alex nur antun, wo er doch soviel für die deutsche Musikwüste
getan hat? Als ich die Neubauten das erste Mal sah, war das wirklich
wie eine Götterdämmerung. Und immer noch gehören
sie zum Besten und Revolutionärstem, was die deutsche Rockgeschichte
je hervorgebracht hat.
Ganz bescheiden zeigte sich der äusserst sympathische und natürliche
Gastgeber und Initiator dieser Veranstaltung mit seiner Band Hitman's
Heel als erster Akteur des Abends. Er spielt Gitarre und singt,
am Keyboard und an der Zither seine süsse Frau Danielle und
stehend am Drumset der Hugo Race' Drummer Chris Hughes. Damit war
die erste Supergroup des Abends schon mal perfekt und bereits nach
5 Sekunden breitete sich das wohlige Gefühl des Die-Anreise-hat-sich-gelohnt's
aus. Wir bekamen intime skurrile Balladen zu hören, zwischen
Blues und Industrial, liebevoll, böse, kindlich, schön.
Dazu liefen im Hintergrund riesige Animationen von Picciotto. Das
war schon mal sehr ergreifend. Hacke sah in seinem schlecht sitzenden
Anzug aus wie ein staubiger Handelsvertreter, der in die falsche
Zeit versetzt wurde, Picciotto mit Kleidchen und Hütchen und
Blümchen in den Haaren wie ein verwunschenes Kind aus einem
Märchen, das sie sich selbst ausgedacht hat. Dazu der im Stehen
trommelnde Hughes, der ziemlich unsicher immer wieder auf Hackes
Einsätze lauerte, damit er die nicht total verpatzte. Von den
Bewegungen sah das aus, als hätte er heute zum ersten Mal in
seinem Leben Trommelstöcke in der Hand gehabt. Den Beat hielt
er sauber, doch er hatte einfach die Songabläufe nicht richtig
intus und bei jedem Übergang blies er hinterher die Backen
auf wie ein Blaseengel. "Puh! Geschafft!" Wirklich ein
niedliches Trio. Sympathisch, bescheiden, etwas wackelig, dennoch
sehr ergreifend und kunstvoll. Man wollte sie alle umarmen.
Bühne
frei für Kid, Khan und Julee. Jetzt begann das Unfassbare,
das Unerbittliche, eine Geisterfahrt auf dem Karussell der Emotionen.
Es gibt mittlerweile einige Videos im Internet von dieser Veranstaltung,
die mir ersparen, das Unbeschreibliche in Worte zu fassen. Einfach
"Kid Congo Powers Khan" ins Google tippen, meine Freunde,
und dann seid Ihr mit uns. Kid mit beigem Anzug, weissen Turnschuhen,
kurzgeschorenen Haaren und lustigen Bewegungen sah aus wie ein ein
Komiker. Khan (im richtigen Leben auch als Captain
Comatose bekannt, Autor und Produzent einer wahrhaft unendlichen
Liste an Platten und Projekten) am Keyboard, ein riesiger Schlacks
mit hellrotem Anzug über weissem Tshirt und ebenfalls weissen
Turnschuhen und am Gesang die völlig durchgeknallte Julee Cruise,
eine leicht gealterte Frau mit blonder 80er-Frisur, einem langen
schlapprigen weissen Unförmigem als Top, darunter schwarze
enge Hose und Badelatschen. Was die drei machten, liess einem die
Augen rausfallen, den Mund aufklappen und sich heimlich nach links
und rechts drehen, um deren Wirkung auf die anderen Leute zu beobachten,
vielleicht sogar eine versteckte Kamera zu suchen. Was die mit uns
trieben, da wusste man nicht mehr, ob die einen verarschen, ob das
Komik, Ironie, Geisterbahn war, ob jetzt gleich die Tür zugeht
und wir für den Rest des Lebens mit denen eingeschlossen sind,
oder ob jetzt gleich einer anfängt zu lachen und sagt: "Mensch,
wir haben doch nur Spass gemacht." Die trugen das aber mit
dem vollsten Ernst des in seiner eigenen Welt agierenden Avandgardisten
vor und ... mein Gott ... das hatte Qualität und Hand und Fuss
und wurde aus dem Ärmel geschüttelt, als wäre niemals
etwas leichter gewesen, als diese Musik zu machen. Keyboards, Loops,
bescheiden im Hintergrund bleibende Beats, Congos scheppernde Gitarre
(ich behaupte, der kann nun wirklich ganz und gar nicht Gitarre
spielen. Eigentlich macht er nur Krach, schiesst grelle hirnspaltende
Dissonanzen ins Weltall und wenn er tatsächlich mal ein paar
Töne in gleicher Reihenfolge hintereinander spielen muss, beisst
er sich auf die Zunge und verfolgt konzentriert die Wege seiner
unbeholfenen Finger) und eine ganz und gar furchterregende Julee
Cruise, deren himmlischer Gesang das eine war, die vom Wahnsinn
angetriebene Gestik das andere. Meine Angst vor dieser Frau hatte
etwas Vollkommenes. Julee kennt man von der Twin Peaks Melodie "Falling".
Sie hat den Song mit Bandalamenti geschrieben und gesungen. Und
wie die Frau kuckte und sich bewegte, das war David Lynch-Feeling
pur. Nur, dass man nicht im Kinosessel sass, sondern mittendrin
war. Die konnte ja jederzeit runterkommen und einen anhauchen, um
Gottes Willen. Ich hab dann tatsächlich mutig durchgehalten,
die Tür aber immer im Auge, damit ich schnell wegrennen konnte,
wenn sich die Situation zuspitzen sollte.
Nach einigen wirklich schönen und seltsamen Songs stolperte
sie dann, sich an der Wand entlang tastend, die Arme und das Gesicht
auf eine nur für sie sichtbare übergeordnete Instanz gerichtet,
aus dem Bild, setzte sich hinter die Wand des Merch-Stands und dann
schafften es Khan und Powers wie zwei Zauberer meine Aufmerksamkeit
auf sich zu richten, so dass ich leider nicht mehr sehen konnte,
wie Cruise dann von dort verschwand. Ob sie plötzlich normal
war und kichernd davon lief oder was auch immer sie tat. Ich wollte
es wissen, hab's aber verpasst.
Übergangslos rockten sich Khan und Powers nun nämlich
durch eine Reihe elektronisch getriebener Disco-Songs. Man muss
das gesehen haben, um es zu glauben. Khan breitete einen metergrossen
bunten Fächer aus, stülpte ihn sich über den Kopf,
stützte sich lässig auf den Mikroständer und sang
voller Ernst und Inbrunst "You are my Candy Girl, you are my
Lollipop, you're the sweetest I've ever had" oder so ähnlich.
Ich vergass zu blinzeln, holte mir noch ein Bier und nippte apathisch
daran herum, auf die Bühne starrend wie ein Kind, das zum erstemal
im Leben den Kasper sieht.
Nick und Lydia (Cave und Lunch), das aufgestylte Teenagerpärchen,
das, wie Daniel und ich, als allererste an der Saaltür standen,
scharrend, nervös, schon fünf Minuten bevor die Tür
überhaupt aufmachte, denen muss echt die Spucke im Hals gefroren
sein, witzelten wir.
Und dann kam sie noch mal: Julee Cruise. Da war Lydia Lunch am Tag
zuvor überraschenderweise nur mit heisser Luft geladen. Sie
sang "Falling" und Kid Congo's sehnsuchtsvoller Blick
in die oberen Abteilungen des Saals bewiesen, dass diese einfache
Melodie voller Kraft ist. Auch wir waren ergriffen.
Und dann war plötzlich alles vorbei. Zu einer Zugabe kamen
noch mal alle Akteure des Abends gemeinsam auf die Bühne und
sangen den alten Jodler "Goo Goo Muck". Cruise tänzelte
dabei wieder völlig neben sich herum, gestikulierte wild mit
den Armen in der Luft und hielt Hacke das Mikro ins Gesicht, auch
dann noch als es schon lange nichts mehr zu singen gab.
Wir harrten noch lange aus, tranken noch einige Biere und liessen
das Geschehene Revue passieren. Die Akteure, ausser Julee Cruise,
sassen am Merch, alberten mit ihren Gästen herum, liessen sich
vom spärlichen Erfolg nicht die Laune verderben und packten
anschliessend selbst ihren eigenen Krempel wieder zusammen.
So richtig kam uns aber erst am nächsten Tag, was wir da gesehen
hatten. Wir trieben uns noch durch München, kauften Schallplatten
und sprachen nur über ... Burn Baby Burn. Danke für diesen
Abend.
(Ralf, 22.4.11)
|
Di. 15.03.11 |
Big
Sexy Noise - Stuttgart,
Schocken (keine 100 Zuschauer) Foto by
Evil
Naja, hab ja ganz schön Vorschusslorbeeren reingepumpt in die
gute Lydia. Und dann fand ich sie einfach nur ... unscheinbar. Die
Grand Dame des New Yorker Undergrounds, eine der allergrössten
Stilikonen des New Yorker Undergorunds überhaupt, machte nicht
die beste Figur und wurde von ihrer Begleitband übertrumpft.
Haushoch! Und zwar mit den Mitteln der Kunst. Die Jungs von Gallon
Drunk waren einfach eine sausaugute Band und Lydia wirkte davor
blass. Man wünschte sich eine bessere Sängerin und Performerin
zur Band.
Sie lebt halt von ihrem Legendenstatus und den hat sie gottverdammichnochmal
so verdient wie sonst niemand. Ich würde ihr ohne zu zögern
das Undergroundverdienstkreuz höchsten Ranges verleihen. Sie
gehört zu den wichtigsten 10 Underground Amis. Live fand ich
sie aber Anfang der 90er schon eher wenig eindrucksvoll. Auch da
war es vorallem die Person, die man mal so in Fleisch und Blut sehen
wollte. Auch damals war die Band die Welt (mit Rowland S. Howard)
und die Dame das Zugpferd.
Nachdem sie aber die letzten 15 Jahre musikalisch eher weniger auffällig
und in Gefilden verweilte, die sich mir nicht direkt erschlossen,
war Big Sexy Noise ein Comeback in unseren Wassern, das aufmerken
liess. Die Collaboration mit Gallon Drunk ohnehin. Lydia grunzt
und raunt mehr als früher. Auf Platte gefiel mir das zunächst
gut. Die penetrante Sirene von früher wich direkter Bosheit,
auch stimmlich.
Live konnte sie sich damit aber nicht durchsetzen. Die Stimme fiel
im Gesamtbild ab. Entweder sie kann nicht mehr oder sie hat absichtlich
aufs falsche Pferd gesetzt.
Zudem war die Band Welten besser als auf Platte. Der Sound ist von
einer tiefen, sehr gefühlvollen aber auch sehr noisigen Gitarre
dominiert, die zusammen mit einer verzerrten Orgel blutig erotische,
hüftenerregende Weisen monoton vibrierender Urzeit-Blueser
in die Nacht zittert, gekontert von einem unnachgiebig swingenden
Drum. Das ist unaufhaltsames atavistisches Rotlicht, eben die Big
Sexy Noise, wie's der Name schon sagt.
Doch Lydia wirkte darauf fast schon zahm, obwohl man vorher gesagt
hätte, dass da niemand besser dazu passen würde als sie.
Sie sparte zwar nicht mit Breitseiten an ihre Jungs, doch die standen
da drüber, waren auch mit blauen Augen (war wohl gegen die
Tür gelaufen, der gute Johnston, haha) souverän wie junge
Hengste.
Bei aller Kritik: Mir gefiel's vom ersten Ton an. Der wogende Sound
der Band war sensationell. Sie hatten genau das, was grosse Musik
hat: Einen einzigen einfachen aber unwiderstehlichen Riff der einen
einzigen unwiderstehlichen Beat kontert und dadurch die Hüfte
in Schwung bringt. Und trotzdem wirds nicht langweilig, denn die
Songs sind in ihrer Einfachheit abwechslungsreich. Was hätte
ich dafür gegeben, das in einem brennenden Londoner Club zu
sehen anstatt an einem kühlen Dienstag in einem Land in dem
gerade musikalisch niemanden irgendwas interessiert und ein kaum
lässig halbgefüllter Schocken noch viel Platz zum Atmen
liess (was ich ja schätze, was aber für das Desinteresse
unserer Mitbevölkerung spricht).
Die Platte zur Tour hält übrigens nicht was das Konzert
versprach. Ich höre nicht diese wunderbare Gitarre. Der klangliche
Fokus liegt nicht auf Sex sondern auf nerviger Aufdringlichkeit.
Ich höre nur Blech und ein permanent quiekendes Saxofon. Das
ging live viel mehr in den Hintergrund und der Beat und die Riffs
standen im Zentrum. Lunch ist beidesmal gleich schlecht. Auch ihre
textlichen Aussagen sind für ihre Verhältnisse nicht aufregend.
Ich bin trotzdem froh, sie nochmal so gesehen zu haben. Wer weiss,
was als nächstes kommt.
(Ralf, 18.3.11)
Hier nochmal meine Ankündigung vor dem Konzert, die etwas
mehr Hintergrundinformationen und einen emotional aufgewühlten
Feuermann zeigt:
Manchmal kommt ein Wölkchen aus dem Himmel geflogen und setzt
sich auf das Haupt eines einsamen Jünglings und sagt ihm: "Das
Glück ist da!" Und dann sieht der Jüngling sich um
und nach 1991 und weiss nicht mehr wann im VS Bahnhof darf der nun
doch nicht mehr ganz so junge R. noch mal das nicht mehr erwartete
Glück erahnen die grosse Angry Diva namens Lydia Lunch live
zu sehen ... und sogar noch mit dem vielversprechendsten Projekt
(zumindest aus Sicht eines Liebhabers der New Yorker NoWave Szene
der 80er), das sie die letzten Jahre aus dem Boden gestampft hat:
Big Sexy Noise, eine Zusammenarbeit mit Gallon Drunk, der sagenumwobenen
Londoner Band, deren Sänger James Johnston sich schon anfangs
der Neunziger hingebungsvoll zu unseren Füssen warf (oder fiel
... so geschehen auf Gallon Drunks D-Tour zum ersten Album, wo es
Johnston regelmässig jesusmässig, Gitarre noch umgehängt,
Monitore mitnehmend, von der Bühne schlug, eieiei, war das
köstlich). Eine brennende Kooperation.
Lunch ist die neben den Swans und Sonic Youth noch aktivste Künstlerin
dessen was man damals dann als NoWave bezeichnete. Als in Europa
die Sex Pistols gerade mal anfingen, war New York damit bereits
durch und Bands wie Teenage Jesus And The Jerks, mit Lydia als Gitarristin
und Sängerin, trieben die Generation bereits zur nächsten
Depression (dem unbedarften Nichtkenner des NoWaves soll gesagt
sein, dass Depression hier nicht negativ, sondern gerade als Höhepunkt
zu verstehen ist - meingott, was man heute nicht alles erklären
muss). Alle ihre Bands waren kurzlebig, lebten so schnell auf und
gingen so schnell unter wie eine Rasierklinge am Puls einer Stadt,
deren Gottverlassenheit solche Kinder wie Lydia Lunch gebiert. In
den mittleren 80ern machte sie vorallem durch ihre Filme mit Richard
Kern und Nick Zedd Furore. Das Cinema of Transgression, indem auch
Sonic Youth ihren Platz fanden, lebte auf und trieb Sex, Gewalt
und Kunst auf bis dahin nicht gekannte Ebenen. Lydias Filme "The
Right Side Of My Brain" und "Fingered" sind in der
Underground Szene was die Beatles für den Beat waren. Wegbereiter,
Trendsetter, Götterdämmerung. Im New Yorker Underground
passierte in den 80ern nichts Spannendes an dem Lydia nicht beteiligt
war.
Sie sang, sie schrieb, sie musizierte, sie agierte. Sie wurde zum
Vorreiter der Angry Women Bewegung, Lichtjahre bevor ein paar lahme
Enten das Riot Grrrl-Movement begründeten und doch immer nur
ein Hauch der Durchschlagskraft, den Extremen, der Bedingungslosigkeit
einer Lydia Lunch blieben. Lydia war immer sich selbst. Und opferte
Seele und Körper der Kunst, nein, vielleicht muss man das eher
als Zwanghaftes Hingeben sehen, Selbstdarstellung bis zur Selbstaufgabe,
als Selbstzweck, einziges Mittel der Selbstheilung. Kooperationen
mit Cave, Sonic Youth, den Swans, Henry Rollins, Neubauten, Die
Haut, Rowland S. Howard, Foetus und vielen mehr.
Und nun ist es 2011, Lydia Lunch ist 51 Jahre alt ... und wütend
wie immer. Lasst Euch das nicht entgehen. |
Sa. 12.03.11 |
Pub
La Bomba, Navigator
- Sonnenkeller,
Balingen (ca. 60 Zuschauer):
Was für ein lustiger Abend. Wenn Hafi nicht gewesen wäre,
hätte ich wohl nicht nach Hause gefunden. Ich halte es da ja
absolut mit Dean Martin, der meinte, dass ein Mann solange nicht betrunken
ist, wie er flach auf dem Boden liegen kann ohne zu schwanken. Doch
als ich nicht mehr wusste wer zweiter der Bundesliga ist, wurde mir
klar, dass ich doch ... sagen wir ... leicht beschwipst war. Immerhin
hab ich die Schuhe ausgehabt, als ich morgens aufwachte.
Insgesamt war's geradezu familiär. Man kannte fast jeden im Laden
und hatte daher immer irgendwo was zu klönen. Da die Satanics-Portugal-Tour-Gemeinschaft
aber wiedervereint war, und alle unisono einen Backflash hatten, mussten
sich auch viele Leute Gerede anhören, das wohl weniger interessant
für sie war, die Armen. Navigator fand ich
überraschend gut. Sind ne richtige Maschine geworden, spielerisch
perfekt zusammengewachsen und auch kompositorisch haben sie deutlich
zugelegt. Nicht ganz mein Geschmack, ihr Metal-Core mit modern-melodischem
Gesang, aber gut gemacht allemal. Pub La Bomba
dann wieder absolut on top. Ihre Rhythmik ist unschlagbar. Drums,
Gitarre, Bass und Gesang laufen genial gegeneinander und machen daher
den tanzbarsten Hardrock, den ich je gehört habe. Das klingt
vital und mitreissend. Die neuen Songs finde ich fast ausnahmslos
auch super. Bringen interessante Wendungen rein ohne den alten Grund
und Boden ganz zu verlassen. Am nächsten Tag hab ich ihre letzte
Platte aufgelegt und bekam vor den vielen superlativen Begriffen,
die mir dazu einfielen, kaum mehr Luft. Das Ding zerreisst Dich echt
in der Mitte. Pub La Bomba sind richtig gross. Schade, dass es kaum
jemand weiss. (Ralf, 19.3.11)
|
Sa. 22.01.11 |
Gay
Bar Zine #3 Releaseparty - Balingen,
Jugendhaus Insel (100 Zuschauer):
Die dritte Printausgabe ist fertig. Das musste gefeiert werden und
die Damen und Herren Gay Bar taten das mit einer amtlichen Party mit
amtlichen Livebands. Der Laden voll, die Stimmung gut, die erste Band
bereits feste am Hantieren: Clap
Your Hands Twice. Die Punkrockers aus den Bergen, seit
längerem mal wieder im Tal. Leider nicht ihr intensivster Auftritt.
Man merkt, dass sie gerade nicht soviel Live-Praxis haben. Es war
ok, aber wenn man die Band schon ein paarmal gesehen hat, weiss man,
dass sie noch viel besser können. Dafür kommt demnächst
ein neues Album. Hysterese
waren die grossen Spannungsträger des Abends, ein neues Projekt
von Helen und Moritz, die Tübinger Alicja und Jay, den Zentralpersonen
der Derby Dolls. Am Schlagzeug sass, nicht mehr ganz überraschend,
David von den Mokicks, ausserdem Herausgeber und langjährige
treibende Kraft des Gaybarzines. Apocalyptischer Punkrock, immer geradeaus,
in den treibend monoton-hypnotischen Momenten fast wie Shellac. Moritz
hysterische "Gesänge" gekontert von Helens tiefer Taubenröhre.
Und immer nach vorne, immer geradeaus, immer nach vorne, schnörkellos,
immer nach vorne, mitreissend. Hat mir super gefallen.
Bislang gelingt Helen und Moritz alles was sie anpacken. Ich hoffe
nur, dass sie sich nicht eines Tages genauso verzetteln wie ihre Vorbilder.
Am Ende "A Forest" tat mir dann leider etwas weh. Ich war
mal Fan, ca. 1986. Da hab ich mir ne Überdosis geholt. Ich kann
mit the Cure nicht mehr. Nie wieder. Da ist meine Toleranzfähigkeit
erschöpft erschöpft erschöpft. Und noch mal erschöpft.
Egal. Tut dem Gesamteindruck keinen Abbruch und offensichtlich bin
ich der einzige, der den Dunkel-Pop spätpubertierender Schwarzröcke
der frühen Achtziger nimmer hören kann. Liberty
Madness, der Beweis, dass die Schöpfungsgeschichte
nicht vorhersehbar ist, indem sie uns vier jugendliche Liebhaber des
metalfreien Hardcore-Punks der Frühzeit vor Augen führt.
Hab ich hierzulande bereits mehrmals gelobt. Leider ist der Überraschungsfaktor
der Ludwigsburger nun verblichen und die Musik muss sich einem nicht
mehr übertölpelbaren zugekniffenen Auge stellen. Dabei zog
bei mir erstmals eine leichte Ernüchterung ein, da viele der
Songs auch ein wenig an einem vorbeibrettern, gute Akzente gehen im
kompositorischen Durcheinander unter. Dennoch gefällt mir natürlich
die Einstellung der Band. Das ist Chaos pur. Die leben ihr Ding. Und
wo die jetzt wieder diesen neuen Drummer her haben? Sowas fällt
doch nicht vom Himmel? Also ich fühl mich wohl mit denen.
(Ralf, 4.2.11)
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