Konzertbesprechungen 2011

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Big Sexy Noise (Stuttgart, 15.3.11) - Burn Baby Burn (München, 16.3.11) - Ceremony (Balingen, 13.4.11) - Christy & Emily (Ravensburg, 26.3.11) - Clap Your Hands Twice (Balingen, 22.1.11) - Einstürzende Neubauten (München, 30./31.5.11) - Fehlfarben (Karlsruhe, 3.12.11) - P.J. Harvey (8.7.11 München) - HTRK (London, 24.10.11) - Hysterese (Balingen, 22.1.11) - Ja, Panik! (Schorndorf, 19.11.11) - Liberty Madness (Balingen, 22.1.11) - Lost Rivers (Balingen, 13.4.11) - Pub La Bomba (Balingen, 12.3.11) - Wovenhand (Freiburg, 16.4.11) - Yesterday Shop (Balingen, 15.4.11)

Sa. 03.12.11 Fehlfarben - Karlsruhe, Jazzclub (Schlachthof) (200 Zuschauer): Ein wundervoller Peter im grauen Anzug, einem bemalten Hemd, das sagte: "Ihr habt die Uhr, wir die Zeit.", eine Band aus dem Gruselkabinett, aber nicht beängstigend sondern sehr amüsant, sympathisch und daher lustbringend und eine unfassbar, unglaublich, sensationell gute Schlagzeugerin. Kommentar Daniel: "Fehlfarben 2011 sind eine lebende und keine Nostalgie-Band." Es gibt jede Menge neue Songs, die so gut sind wie die alten." Ja!
Ich bin total begeistert, das hatte ich so gar nicht erwartet und dem vorallem aus gesetzteren Herrschaften bestehenden Publikum gefiel's auch, denn die konnten sich kaum einkriegen, was die Fehlfarben mit sehr grosser Genugtuung annahmen. Ein sehr sehr schönes, sehr herzliches und sehr lustiges Konzert. Man sah ganz viel von unseren Zähnen.
(Ralf, 4.12.11)
Sa. 19.11.11 Ja, Panik - Schorndorf, Manufaktur (300 Zuschauer)
Was anfing wie die Sisters of Mercy, in Nebel und kaltem Licht, wartete mindestens eine halbe Stunde auf die ersehnte Verbindung zum Publikum. Die Schorndorfer standen da und hatten Lust, aber Ja!Panik mussten auch erstmal etwas auftauen.
Dann der Eisbrecher: Ein hemmungslos emotionaler Song, in dem jeder der Jungs eine Strophe hatte um seine Liebe zu einer Person zu gestehen. Wir mussten uns alle zurückhalten, um nicht wie die Kinder zu schreien ... und taten es doch.
Ja, auch ich hatte Panik, auch wenn der Shoegazer-Wave-Pop der berliner Wiener sonst gar nicht so mein Fall war. Musikalisch. Die Emotion schon. Daher: Schöner Abend.
(Ralf, 4.12.11)
Mo. 24.10.11 HTRK - London, The Garage (200 Zuschauer)
London Release Party für die dritte Platte der ursprünglich in Melbourne ansässigen Band, deren Sängerin Jonnine die Frau des Devastations-Sängers Conrad Standish ist. HTRK verbinden New Wave und Industrial, sind mittlerweile sehr elektronisch, noch düsterer als auf der letzten Platte und während des letzten Konzerts auf dem ich sie gesehen habe, was daran liegen kann, dass die Songs zu dieser Platte während der Trauerphase über ihren gestorbenen Bassisten entstanden sind.
Nachwievor wabern, kratzen, flirren, stören und schweben die grundlegenden Sounds, der kernige Bass, der sie aber in Formen gegossen hatte, fehlt völlig. Dafür brummt ein elektronisches Relais, meist so extrem, dass mir, als ich mir an der Bar auf der oberen Etage ein Bier holte, die Fusssohlen vibrierten. Jonnines Gesang ist weiterhin kein Gesang, sondern nur ein völlig gleichbleibendes Aufsagen von merkwürdigen Texten, meist repetativ, wenige Zeilen oder gar nur Worte. Gelegentlich haut sie dazu auf ein (mittlerweile elektronisches) Tom.
Das Ganze ist sehr düster und schafft eine intensive Atmosphäre, die trotz der Eintönigkeit, oder gerade deswegen, einnimmt. Die Musiker fühlen. Was nach aussen wie Kälte und Coolness ankommt, ist tiefes Gefühl, was die Besonderheit und Einzigartigkeit der Band ausmacht, dieses Etwas, das niemand erklären kann.
Die Meute war vorallem auch cool und stylish. Offensichtlich zu cool um zu applaudieren, denn das taten nur etwa ein Drittel (von der Lautstärke und den umstehenden Genossen zu urteilen). Der Laden war geschätzte dreiviertel voll und alle sahen gebannt zu, doch geklatscht hat kaum einer und als es dann schnell und plötzlich vorbei war und die beiden sich fast grusslos verdrückten (hey, war das nicht ihre Releaseparty?), war auch innerhalb von 10 Minuten niemand mehr im Saal. Merkwürdig. War das, weil es Montag war, war das weil irgendwas an diesem Abend schief gelaufen war?
Über Conrad, der den Merch schmiss, fand Nathalie heraus, dass sich alles extrem verzögert hatte und HTRK (sprich Haterock) vermutlich auch nicht ihr geplantes Set spielen konnten. Machte uns nix, da wir eh zu spät und daher gerade recht zu HTRK kamen.
Mir sind sie zu elektronisch geworden, das Düstere und Eintönige ist ok, aber auch die elektronische Trommel verliert ihren Wumms-Moment. Die Pauke mit Schlegel machte da früher wesentlich mehr her.
HTRK ist aber ohne Zweifel gerade einer der ganz angesagten, wenn auch noch tief im Underground, Bands in London. Das Coole und Abweisende kommt hier ziemlich gut an. Als kommerziell wird man HTRK auch kaum bezeichnen können. Daher werden sie Underground bleiben, wenn sie nicht gefälligere Elemente verwenden wollen, was die Herren Kickin Ass natürlich gut heissen. Für mich ist es auch etwas arty und das gefällt mir eben grade.
(Ralf, 25.10.11)
Fr. 08.07.11

P.J. Harvey - München, Circus Krone (2000 Zuschauer)
Ich bin ja ein Spätbewunderer der ungewöhnlichen britischen Lyrikerin, Sängerin, Komponistin, Gitarristin, Pianistin und seinem neuestem Autoharpistin (oder wie sagt man?). Und ich bin auch eher ein Bewunderer ihres Spätwerks. Ihre ruhigeren, unpopuläreren Momente gefallen mir wesentlich besser als ihre modern-rockigeren.
So ist das Urteil zu diesem Konzert auch schnell in Worte gefasst: Purer Wahnsinn in jeder Hinsicht!
Man könnte sich lange darüber auslassen, wie wunderschön Bühnenbild, Polly-Jeans Kleid und natürlich auch die ganze musikalische Darbietung waren, die sich selbstverständlich vorwiegend auf das aktuelle Werk "Let England Shake" konzentrierte. Ich möchte aber hier vorallem auf einen Punkt eingehen, der sich gleichermassen durch die Platte wie auch durch die Livedarbietung zog:
Dieser leise, unaufdringliche, bescheidene, zarte und wenig effekthascherische Sound von "Let England Shake" ist ein Weg, den ich mir wieder verstärkt in der populären Musik wünschen würde, steht er doch in starkem Kontrast zur Übertreibung und Superlativen-Hetze, die die Welt und natürlich auch die Welt der Musik heutzutage beherrscht. Aktuelle musikalische Werke werden bis zum letzten Quentchen nach oben gemastert, Hauptsache lauter, fetter, brutaler. Sogar ein Nick Cave sucht sein Glück derzeit mit dem Holzhammer und da tut es besonders gut, ehemalige Mitstreiter und ähnlich gesinnte Geister wieder Wege der Besinnlichkeit (Let England Shake wurde auch in Dorset in einer alten Kirche aufgenommen) beschreiten zu sehen, was keineswegs zu geringerer Kreativität und Qualität führt, im Gegenteil. Die Konzentration aufs Eigentliche, der Rückzug ins Leise, wird hier wieder gesucht, während alle anderen sich gequält um noch extremere Aussenwirkung bemühen und nur noch mit Pauken und Trompeten um ein schon völlig betäubtes Publikum buhlen.
PJ Harvey, die sich ihrer Aussenwahrnehmung natürlich absolut bewusst ist und auch gezielt damit arbeitet, setzt sie aber eben auf eine Art und Weise ein, die es ihr erlaubt, das ganze Konzert über nur wenige Schritte zu gehen. Nämlich die aus dem Dunkel ins Licht und wieder zurück. Ihr phantasievolles Kleid ist effektvoll, erstaunt, fasziniert, erschlägt aber nicht.
Daneben die Herren Mitstreiter. Gestandene aber bescheidene Männer, die das Licht nicht mehr brauchen oder noch nie gewollt haben, ohne die das alles aber nicht möglich gewesen wäre. Es sind nur drei, mehr braucht es nicht. Die gleiche kleine Gemeinschaft, die die Platte aufgenommen hat und nun den Saal bannt: John Parish, PJs langjähriger Patron an Gitarre und Tasteninstrumenten, der aber fast verschwindet neben dem grossen Unscheinbaren: Mick Harvey, dessen Einfluss auf diese und andere Musiken niemals hoch genug eingeschätzt werden kann, da er gerne aus der Tiefe wirkt und das Rampenlicht ihm, auch im Circus Krone, eher unangenehm ist. Wenn sie am Ende dastehen und beklatscht werden, windet er den Hals im Kragen, zieht Augen und Brauen zusammen und hofft, dass das gleich aufhört.
Der dritte im Bunde ist der Drummer Jean-Marc Butty, optisch durch seine hingebungsvolle Art sehr auffällig aber total unaufdringlich. Diese Band vermittelt neben Sympathie und Kraft auch Wahrheit, das abhandengekommene Gut.
Let England Shake ist eine der fruchtbarsten Kollaborationen des Jahres 2010, das Konzert dazu ein Schmaus. Sehr schön auch die Kurzfilme von Seamus Murphy zum Album.
Achja und nochwas: Lost Rivers nach dem Konzert getroffen. Tja, gute Leute wissen halt was gut ist.

Mo. 30.05.11 Di. 31.05.11

Three Decades of Einstürzende Neubauten - Doppel-Event - München, Muffathalle (Mo. ca. 1000 Zuschauer, Di. ca. 350 Zuschauer) (Das Foto ist nicht vom Konzert in München, sondern by Gorismu, Finland, sah aber bei uns genau gleich aus..)
30 Jahre Neubauten, ein zweitägiges Ereignis mit einem normalen Konzert am ersten Tag, einem Konzert mit einer besonderen Songauswahl am zweiten Tag, dazu Konzerte von Solo-Projekten, die in jeder Stadt neu zusammengestellt wurden.
30 Jahre Neubauten und wer weiss wielange noch. Daher war dies hier Pflicht für mich, sind die Neubauten doch seit auch schon über 20 Jahren meine Lieblings-Live-Band.
Erster Abend: Blixa und Alex kommen schwerbäuchig und barfüssig auf die Bühne stolziert und spielen sich durch ein "ganz normales" aktuelles Liveset, das grösstenteils aus jüngeren Songs besteht. Nicht anders als in den letzten Jahren live von den Neubauten zu hören.
Alles ist wie immer. Blixa grantelt herablassend und cretinierend an den Monitormixer und den Einwürfen des Publikums herum. Dass der nach sovielen Jahren immer noch nicht an den heraufgeschrieen Kommentaren aufreibt, provoziert das Volk ja geradezu und steht auch immer noch im Kontrast zu seinem überheblichen Auftreten. Es nimmt schon Wunder und hat eigentlich was Peinliches, das ihn aber umso liebenswerter macht. Das fiel mir diesmal eigentlich zum erstenmal so ganz intensiv auf: wie unbedingt meine Sympathie für diese Personen ist, die die Einstürzenden Neubauten sind. Nach so vielen Jahren kommen die einem vor wie vertraute Freunde. Ich liebe jeden von ihnen mit ganzem Herzen, stark und unfehlbar. Diese Band ist seit so unglaublich vielen Jahren das Wertvollste, das Wichtigste, das Beste, das so fast einzig Aussprechliche, was deutsche populär-musikalische Hochkultur zu bieten hat. Ohne die Neubauten wäre Deutschland tot. Maustot.
Man muss sie einfach auch live gesehen haben, um den Sound überhaupt mal zu verstehen. Das kriegt ja keine Platte auf keiner Hausstereoanlage so übertragen. Diese vollen tiefen Töne, auch wenn nur eine Glocke angeschlagen wird. Das hat etwas Ehernes, Archaisches, Verfeinerndes. Du sinkst da völlig hinein, wirst als Mensch unwichtig.
Bei "Nagorny Karabach" vom noch aktuellen Album "Alles wieder offen" bekomme ich eine Gänsehaut, die mir vom Genick bis in die Beine zieht, dass ich eine ganze Weile nicht mehr aufhöre zu frieren. Das sind sie. MEINE Neubauten.
Nachdem ich es etwa eine Stunde nahe der Bühne (fast sogar die Position des Fotos) und in ner Menge nicht ausschliesslich sympathischer Münchner ausgehalten habe, wird mir der Durst unerträglich und ausserdem habe ich meinen Platz zu weit links vor der Bühne gewählt. Ich kann Unruh nicht sehen und natürlich will man ihn sehen, die gute Seele der Band, der, wenn er mal richtig loslegt, die halbe Bühne im Staub versinken lässt, dass sich sogar Bargeld umdreht und zufrieden nickt.
Also beschliesse ich, den Platz zu wechseln und mir die Sache von einer anderen Seite anzusehen. Als ich mich nach hinten durchkämpfe wird mir klar, dass der Laden bis zum allerletzten Platz voll ist. Erst zwei Meter vor der Bar wird das Leib-an-Leib etwas aufgelockert. Die Seite zu wechseln ist unmöglich. Also trinke ich viele Biere in Barnähe und dränge mich immer soweit in die Menge, dass mich vorbeipressende bayerische Saumägen nicht umrammen.
Die Neubauten spielen inklusive zwei Zugabenblöcken zweieinhalb Stunden. Am Ende des ersten Zugabenblocks "Silence is Sexy" denke ich noch, dass sie es schaffen, sie schaffen es, sie schaffen es, sie schaffen es, sie schaffen es 1000 Leute zum Schweigen zu bringen. Doch dann schreien halt doch fünf Deppen in die halbminütige Stille hinein. Ich meine ... es geht einfach nicht: Man kann nicht tausend Leute stillhalten. Da sind immer ein paar drin, die halten das einfach nicht aus. Aber es hat aber immerhin fast funktioniert. Als sie zur zweiten Zugabe reinkommen, echauffiert sich Bargeld erstmal grandios und völlig unsinnig darüber. Wie konservativ die Münchner denn sein müssen, dass sie es nicht schaffen, diese fünf Typen auszusortieren, auf die Fresse zu hauen ... Hätten sie vorher gewusst, welches die Typen sind, die dann losschreien werden, die Münchner, inklusive aller Nichtmünchner, ich, viele Italiener, Spanier und sonstwas für Sprachen ich wahrgenommen habe, hätten sie das bestimmt getan, lieber Blixa.
Dann ist es aus. Ich warte bis der Saal fast leer ist. Trinke noch drei Biere und sinniere darüber, wie sehr es für die Qualität der Neubauten spricht, dass sie trotz ihrer Vorbildfunktion, ihres Kultstatus, absolut unkopiert geblieben sind. Alle guten Kapellen vergehen doch daran, dass ihre Kopien schlechter und berühmter sind als sie selbst und irgendwann keiner mehr weiss, wie das eigentlich anfing. Eine derartige Konfrontation ist den Neubauten komplett erspart geblieben. Und das ist ein weiterer Punkt für ihre sprichwörtliche Einzigartigkeit.
Dann torkle ich von dannen, verirre mich glückselig und schwertrunken.
Zweiter Abend: Erst Tage später im Internet wird mir klar, warum an diesem zweiten Abend nicht halb soviele Leute da sind wie am ersten. Hätte ich selbst nur die Möglichkeit gehabt an einem Abend teilzuhaben, hätte ich den zweiten erwählt, aber die Ankündigung, das sei "gar kein richtiges" Konzert liess wohl viele Leute abschrecken. Warum auch immer. Ich kann mich wohl nicht in jemanden reinversetzen, der die Neubauten noch nie gesehen hat.
Ich war wieder zeitig da und suchte diesmal auszuchecken, obs nicht im Cafe ein besseres Bier gab als im Saal. Volltreffer. Genau dem war so. Hier gabs auch das Dunkle, dem ich so wohlgesonnen bin. Und während ich noch das zweite schlürfte und nur ganz wenige Menschen die Luft wegatmeten, wurde ein Film angeworfen, der kommentarlos und ohne für mich erkennbaren Zusammenhang, zumindest ohne Chronologie, allerlei Neubauten-Dokumente zusammenfasste. Auch bisher nicht Gesehenes. Daher blieb ich hier noch auf weitere Dunkle und liess mir selbst vor Augen führen was ich an den Neubauten doch alles so liebe.
Ja, Liebe braucht stetige Bestätigung und Erneuerung und meine Beziehung zu den Einstürzenden Neubauten erfreut sich absolut bester Gesundheit.
Zwischendurch äugte ich ängstlich in den grossen Saal um sicherzustellen, dass das Konzert nicht ohne mich losging und auch noch nicht zuviele Nerds die Nähe zur Bühne verstellten. Doch nix war los. Erst fünf Minuten vor offiziellem Beginn eiste ich mich also los, positionierte mich problemlos und konnte das komplette Konzert lang meinen Dunkles-Becher auf dem Bühneboden tanzen lassen (als ich herausgefunden hatte, dass man das auch mit rein nehmen durfte, sah ich keinen Grund mehr im Saal auf Plörre zu setzen, wenn es für 50 Cent mehr - Trinkgeld inbegriffen - Wohlschmeckendes ohne Anstehen bei gleichbleibender Entfernung zur Bühne gab).
Also: Neubauten genial auch am zweiten Tag. Wir hörten neben "Seele brennt", "Sand" und einigem Obskuren, das ich nicht alles kannte, auch allerlei Anekdoten. Das Publikum war durchaus erlesener und interessierter. Das schien auch den Akteuren zu gefallen, denen es sichtbar lieber war, vor einem halbvollen Saal zu spielen, dafür aber auf wahres Interesse zu stossen.
Nach den Neubauten wurde es dann allerdings leider ungemütlich. Die Bühne wurde komplett geleert. Komplett! Jedes Staubkorn wurde entfernt und bei dem Krempel den die da alles rumfahren haben, dauerte das natürlich eine Zeitlang. War ja lustig dabei zuzusehen, doch wie die Bühne immer leerer wurde, verschwand auch etwas Vertrautes, Heimeliges.
Jochen Arbeits Stack blieb als einziges stehen und daneben wurden zwei Tische aufgebaut, ein Laptop und allerlei KeineAhnungWas, denn von unten konnte man nicht auf den Tisch sehen. Ich stellte mir ein Gewirr an Kabeln und merkwürdiger Elektronika vor. Ein unscheinbarer Typ machte dran rum und als dann irgendwann das Licht ausging, wurde er einem als "Scanner aus London" vorgestellt, der, als mir unbekannter Elektro-Akkustiker, als Partner von Jochen Arbeit das Projekt "Soundscapes" bildete.
Ich meine, der Saal hatte sich inzwischen weiter geleert, eine Tendenz, die sich fortsetzte. Was die beiden zu hören gaben, war erwartungsgemäss elektronischer Natur, super auf alle Fälle, faszinierende, interessante Sounds, manchmal mit ansetzendem Beat, glücklicherweise meist aber nicht. Was Scanner auch immer da auf seinem Tisch tat, Arbeit ergänzte das atmosphärisch mit der Gitarre, stand dann aber gelegentlich auch seitlich an den Tischen und drückte da auch auf irgendwelchen Drückern rum. Das sah insgesamt blöd und nicht nachvollziehbar aus. Livekonzerte leben ja davon, dass man sieht, was die Akteure veranstalten. Hätte man wenigstens gesehen, was da auf den Tischen vor sich geht, wäre das vielleicht noch irgendwie interessant gewesen, so war es aber nach einer Weile ermüdend. Das Licht mühte sich, Atmosphäre zum Sound zu schaffen, doch das konnte auf Dauer nicht retten, was die beiden Soundscapler vermissen liessen.
Ich liess mich also immer öfter im Cafe blicken, was irgendwann dann doch auffällig wurde, denn der Barkeeper griente mich schon durchdringend an und nötigte mich mit jedem weiteren Bier einen zusätzlichen Jägermeister mit ihm zu verdrücken. Ich war aber noch soweit erinnerungsfähig, dass mir der Kontrollverlust des Vorabends einfiel und mich vorsichtiger werden liess.
Drinnen wurde mir das Gedröhne nicht kurzweiliger. Bei allem Respekt, hätte ich eine Uhr gehabt, hätte ich angefangen, draufzukucken. Der Unansehnlichkeit zu entweichen, hockte ich mich irgendwann im halbhinteren Saal an die Wand auf den Boden und starrte gewiss nicht auf die Bühne, um so der Musik mehr abzugewinnen. Funktionierte zwar, dennoch spielten sie zu lang. Der Abend dauerte jetzt schon länger an als der vorige und zeigte bereits deutliche Auflösungserscheinungen. Mag sein, dass die Londoner da länger durchhalten, aber ein durchschnittlicher Münchner Bürger, auch wenn er Neubauten-Fan ist, pflegt den Dienstagabend nicht zu überstrapazieren.
Als Soundscape dann, es tut mir weh, aber ich muss dieses Wort einfach benutzen, ENDLICH aufhörten, erwartete ich angesichts der Länge des bisherigen Programms beinahe das Ende des Abends und war doch leicht überrascht, als noch was kam. Mich hatte schon den ganzen Abend die halbseitige Absperrung an der linken Hallenwand gewundert. Günstigerweise stand ich im Weg rum und musste mit den Worten "Dürfen wir mal, jetzt kommt nämlich die Überraschung!" aus dem Weg gebeten werden, als ein paar grosse starke Jungs sich an dieser Absperrung zu schaffen machten und dahinter dutzende Tische hervorkramten und in den folgenden Minuten auf der Bühne (daher musste diese natürlich auch komplett geräumt werden) und im halben Saal verteilten. Auf den Tischen: Trommeln. Nichts als Trommeln und Becken. Man trat zurück, sah zu , wunderte sich und dann traute man sich. Immer mehr Leute näherten sich diesen Tischen und fingen an mit den Händen auf den Trommeln zu patschen, sogar ich.
Da kam Andrew Unruh, dessen Projekt "Beat The Drum" nun bevorstand und sagte auf seine unnachahmlich lockere Art: "Wartet, wir verteilen gleich Sticks und spielen gleich Musik ein, die als Anregung dient und dann sehen wir einfach mal, was passiert ..." Gesagt getan. Eine Minuten später trommelten die verbliebenden 150 Leute wie die Berserker. Die eingespielten Musiken waren nicht sooooooo sehr nach meiner Facon. Teils bekannte Hits, teils Techno, teils auch ganz ok, unterm Strich aber hätte hier eigenes Material doch die Würze ausgemacht.
Überall donnerte es also, jeder für sich, keine gemeinsame Rhythmik. Unruh turnte immer irgendwo dazwischen rum und machte energievoll mit (das Foto ist etwas verwackelt, zeigt aber Unruh leuchtend inmitten seiner Epigonen und bringt viel von der Dynamik der Aktion wider). Nette Idee, bei aller Logistik aber vielleicht doch nicht gut genug zuende gedacht. Das ging so eine halbe Stunde, dreiviertel Stunde, ganze Stunde und ich suchte wo sich bei mir etwas entzündete. Doch auch mit der Zeit war ich wenig entflammt. Ich latschte aussen rum, mitten durch, sah mir das von hinten und von vorne aus an. Die Trommler schienen mir zu sehr mit sich selbst beschäftigt, wie Kinder. Versunken, ohne Blick aufs Ganze. Am Ende jeder Runde, schritt Andrew wie der Kammerjäger aus Hameln (oder wie hiess der?), seine Stöcke wedelnd am Rand der Bühne entlang und kündete ein neues Stück an. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ihn jemand beachtete. Es wurde spät. Mein Impuls abzuhauen wurde immer grösser. Es waren ausser mir und zwölf anderen nur noch Trommler im Saal. Allerdings war wirklich auch jeder letzte Trommelplatz besetzt. Und wer einmal angefangen hatte, der hörte nimmer auf, auch wenn sie entweder völlig in Trance, manchmal auch scheinbar gelangweilt und irgendwann auch erschöpft wie Fliessbandarbeiter immer nur weiter machten, weiter machten, weiter machten. Einer kriegte sogar Beinkrämpfe aber keiner half ihm. Wahrscheinlich war genau das dann doch das Ding bei der Geschichte. Ich beschloss noch mal einen Song zu warten, mal sehen, ob nicht doch noch was Interessantes passierte, doch als Unruh dann irgendwann Kartons hinstellte und auf dem Boden liegende Sticks einsammelte, war mir klar, dass es nun wohl nur noch drum ging, das Ganze wieder irgendwie zu stoppen. Und so gerne ich das auch noch miterlebt hätte ... es war schon halb drei oder so. Der Barkeeper im Cafe wurde mir endgültig unheimlich und ich hatte schon zwei Biere aus dem Saal geholt und war einfach durch mit diesem Abend.
Drei Dekaden Neubauten. Was blieb? Zwei wundervolle Abende und die Gewissheit, dass die Neubauten auch vier Jahre nach ihrem letzten Album noch sehr sehr lebendig sind. Schade wäre es natürlich, wenn sie sich gänzlich in ihre Soloprojekte zurückziehen würden. Ja. Ich hoffe es noch nicht, habe diesem Event aber durchaus aus genau dieser Angst heraus so viel Beachtung geschenkt. Wohlahnend. Bitte noch nicht!

Setlist reguläres Set, 1. Tag Setliste Sideshow, 2. Tag
The Garden
Befindlichkeit des Landes(Ufo,Rampe, Überl.)
Von Wegen
Die Interimsliebenden
Nagorny Karabach
Dead Friends
Unvollständigkeit
Installation # 1
Ich Hatte Ein Wort
Let´s do it DaDa
Haus der Lüge / Noise / Rampe
Sabrina
Susej

ENCORE I:

Headcleaner
Silence is Sexy

ENCORE II:

Redukt
Total Eclipse of the Sun

Ein leichtes leises Saeuseln
Armenia / Rampe
Grundstück
November / sie Lächelt
Seele brennt
Sand

(Ralf, 18.6.11)

Sa. 16.04.11

Wovenhand - Freiburg, Jazzhaus: Whoa! Schon lange nichts derart Beeindruckendes mehr gesehen. David Eugene Edwards kreiiert seine eigene musikalische und geistige Welt. Sitzt da völlig erhaben und eigenwillig auf seinem Stuhl, ungeachtet was sonst so in der Welt vor sich geht.
Der Enkel eines Wanderpredigers, der längere Teile seiner Kindheit damit verbracht hat, mit dem Grossvater von Stadt zu Stadt zu ziehen, ist versunken im Universum biblischer Botschaften. Doch über sich fühlt er das spirituelle Erbe der amerikanischen Ureinwohner und unter sich das Land, das einst niemandem gehörte und doch jemandem genommen wurde. Dies alles spiegelt sich in seiner Musik und seinen Worten wieder, ist gehaltvoll, tiefgehend und manchmal düster. Darin sieht Edwards aber nur die Seriösität seines Schaffens, das er eben nicht dazu macht, damit irgendjemand einfach nur oberflächlichen Spass haben kann.
Edwards ist ein Star, eine äusserst charismatische Figur, musikalisch wie persönlich. Wieviel davon Image ist und wieviel er selbst, weiss ich nicht. Jedenfalls ist das doch genau was wir sehen möchten. Langweilern begegne ich jeden Tag wenn ich in den Spiegel sehe. Seine Gestik auf der Bühne, seine Bewegungen haben etwas Irres, Bedrohliches, aber auch Anziehendes. Seine Versunkenheit wird nur ab und an durch einen fürchterlichen Blick ins Publikum unterbrochen, was eine vollkommene Entrückheit andeuten könnte, vielleicht aber auch Kalkül ist. Sehr wahrscheinlich irgendwas in der Mitte. Jedenfalls macht das Spass und Angst gleichzeitig. Und das war doch schon immer die Anziehungskraft des Rock'n'Roll. Dazu spricht mich seine Musik geradezu unerhört an.
Von den stets eingespielten unheilvollen Geräuschen von Edwards Aufnahmegeräten unterlegt, bauen sich langsam, sehr langsam die Songs auf. Dazwischen lange Passagen, Geräusche, Töne vom Band und der Orgel und immer wiederkehrende Textpassagen, fast rituell. Er spricht, singt, oft weit vom Mikrofon entfernt, trommelt auf seinem Gitarrenkorpus und manchmal steht einfach nur ein zitterndes Flirren im Saal, kein Ton mehr, nur noch Spannung. Und der ganze Saal ist ergriffen, kein einziger brabbelt hier mehr.
Durch das Brechen der Songstrukturen entsteht so ein Konzert, das nur als Ganzes zu verstehen ist. Im letzten Dezember gaben Wovenhand in der Roepean Kirche in Ottersum (NL) mit einer leicht variierten instrumentalen Besetzung ein Konzert, das im Februar im Rockpalast zu sehen war. Ich hab mir die Roepaen Show erst nach dem Konzert hier in Freiburg angesehen. Sie waren nicht gleich, aber recht ähnlich. Nur wenige Songs des aktuellen Albums, ganz vereinzelte Songs von früheren Alben, vieles noch nie gehört. Inwieweit sich diese Konzerte von üblichen Wovenhand Shows unterscheiden weiss ich leider nicht. Es dreht sich aber ganz sicher nicht um normale Promo-Konzerte. Dafür wurden zu wenige Songs des aktuellen Albums "The Threshing Floor" gespielt. Ich hatte das Gefühl, dass diese Shows thematisch waren, eine tiefe Verwurzelung zum indianischen Kulturgut hatten und extra eingeprobt wurden. Es macht auch wenig Sinn, dass Wovenhand im November/Dezember auf Europatour waren und im April nochmal für wenige Shows eingeflogen wurden. Sicher nicht, um dasselbe nochmals zu spielen wie vor einem knappen halben Jahr. Wer mehr darüber weiss, darf mir gerne schreiben. Dann werde ich diese Eindrücke hier mit einfliessen lassen. Das Internet wusste jedenfalls nix Genaueres.
Dies war jedenfalls ein wundervolles ergreifendes Konzert.
(Ralf, 29.4.11)

Fr. 15.04.11 Yesterday Shop - Sonnenkeller, Balingen: Die Wiederkehr zweier Balinger Jungs (ehemals Nice-Haircut-Baby) mit ihren neuen Kollegen brachte uns luftigen Wave moderner britischer Prägung. Sphärische Gitarren, viel Synth-Gewabere, wimpiger Gesang und ein Laptop auf dem mitten über die Bühne gestellten Biertisch, das offensichtlich deutlich zum Sound beitrug. So ganz genau hab ich das nicht beobachtet. Es waren zuviele ganz kleine Menschen da, von denen ich mich, durch deren unruhigen Art mehr irritieren liess und die mich immer wieder von meiner Konzentration auf die Band ablenkten.
Die Band ist sehr gut, hat einen ausgezeichneten Sänger, ist vielleicht nur noch etwas zu sehr an Vorbildern orientiert, die wohl im englischen Shoegazer-Gefilde liegen, wobei mir erstmal jemand erklären muss, was Shoegazer denn eigentlich bedeutet. Das war in den 80ern mal die Beleidigung für NewWave-Bands, die vor lauter Depression und Understatement nur auf den Boden oder eben ihre Schuhe sahen. Das Gegenteil von Showcase quasi. Wurde dann natürlich als Anti-Haltung glorifiziert.
Bei Yesterday Shop ist die negativ-düstere Haltung weitgehendst verschwunden, die Stimmung ist süsslicher, verträumter, eher auf liebliche Art traurig. Da haben allerdings auch in den 80ern schon viele der 4AD-Bands vorgearbeitet, bspw. die Cocteau Twins, die die engen Grenzen des Wave weit überschritten und eine Musik kreiiert haben, die heute noch unerreicht ist.
Bei Yesterday Shop musste ich sehr an Jeniferever aus Schweden denken, die wir mal vor drei vier Jahren in London sahen und die augenblicklich auch wieder den europäischen Kontinent touren.
(Ralf, 23.4.11)
Mi. 13.04.11

Ceremony, Lost Rivers - Sonnenkeller, Balingen: Das amerikanisch-deutsche Tourgespann auf Durchreise im heimischen Sonnenkeller. Ceremony spielte zuerst. Sie sind eigentlich fast gleich wie die Lost Rivers, benutzten sogar deren Equipment und damit meine ich nicht nur die Backline, sondern sogar die Lightshow, die bei den Lost Rivers ja nur aus Strobos besteht, und das komplette Effektboard der Gitarre.
Wir haben also zweimal auf Basis einer Wand von Feedbacks, Verzerrung, Halls und Echos wavige Harmonien und Gesänge, monotone Rhythmen und sich wiederholende Basslines.
Und wenn sich zwei Bands so ähnlich sind, dann darf (oder muss) man sogar Vergleiche anstellen. Also:

1. Ceremony haben den melodiöseren Gesang, können etwas besser singen, teils sogar mit Chorgesang, was etwas mehr Variation in den Gesamtsound bringt.
2. Ceremonys Rhythmen sind treibender als bei Lost Rivers, doch wie wir anschliessend feststellen sollten, driftet LR nun auch in diese Richtung. Ich fand die etwas sperrigeren Drums ihrer Frühphase besser weil experimenteller.
3. Die Lost Rivers haben den besseren Bandnamen.
4. Die Lost Rivers haben optischen Style, während Ceremony in Säcken und komischen Turnschuhen dastehen.

Sollte ich wählen dürfen, würde ich also immer noch die Lost Rivers vorziehen, auch wenn sie mir, wie gesagt, langsam zu sehr der traditionellen Wave-Rhythmik folgen. Das ist aber Jammern auf hohem Niveau. Die Lost Rivers sind immer noch eine der interessanteren Bands der Region. Da sie aber schon viele, manchmal auch sehr markante, Änderungen in ihrer noch kurzen Karriere durchlaufen haben, ist man immer auf der Lauer, was der nächste Sommer bei ihnen bringt.
Fazit: Man braucht einfach die ganzen ausländischen Bands nicht, solange die eigenen genausogut oder sogar noch besser sind.
(Ralf, 23.4.11)

Sa. 26.03.11 Christy & Emily - Ravensburg, Balthes (ca. 120 Zuschauer, knallevoll)
Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Die Schlagzeugerin war schuld. Dabei dachte ich, dass Emily und Christy (das New Yorker Duo, das seine letzte Platte bei Irmler - Faust, Klangbad - aufgenommen hat) gar keine Schlagzeugbegleitung haben. Als ich im überfüllten Balthes ankam, stellte sich erstmal heraus, dass ich die Vorband Flufaffair, die ich eigentlich unbedingt sehen wollte, schon verpasst hatte und eine Frau alleine auf der Bühne stand und ganz ruhig Gitarre spielte und sang. Es dauerte einen Moment, bis ich mich akklimatisiert hatte und mir einen halbwegs passablen Platz in der Meute erdrückt hatte. Dann aber stellte sich heraus, dass das ganz seltsame interessant verwobene Songs waren, gespielt auf einer linksrum gehaltenen Gitarre mit normal aufgezogenen Saiten. Und wie gut ... UNGLAUBLICH! Die Finger krakelten über das Griffbrett, zwängten sich in Griffe, die ein normaler Mensch normalerweise nicht zu sehen bekommt. Sowas kann einem ja auch keiner beibringen. Wer links spielt, keine Linkshändergitarre nimmt und noch nicht mal die Saiten umspannt, der wird zwangläufig Autodidakt. Wahnsinn, was die Dame dann dabei zustande bekam.
Ja, und nach ein paar Songs sagte sie dann, "OK, nun geh ich mal nach hinten, ich spiel nämlich bei Christy und Emily Schlagzeug".
Gesagt getan. Die beiden Hauptakteure gesellten sich dazu, ebenso wie ein Bassist. Auf dieser Tour, und nun wohl als feste Begleiter auch auf der nächsten Platte, präsentieren sich Christy & Emily also nun als komplette Rock-Besetzung. Emily spielt Orgel und singt, Christy spielt Gitarre und singt.
Wir hören ruhige einehmende Indie-Kleinoden mit Hang zum Ungewöhnlichen, Avandgardistischen. Mir gefiel nicht jeder Song, doch im Ganzen fand ich's am Ende richtig toll. Dabei hab ich nur auf die Schlagzeugerin gekuckt, denn diese Frau ist ein Multitalent. Sie spielte HERVORRAGEND. Ich hab schon lange kein so interessantes Drumming mehr gehört und gesehen. Sie schaffte es jedem Song genau die richtigen Akzente herauszuarbeiten, um somit jeden Song auch wirklich zu bereichern. Das Schlagzeug wurde zum gleichwertigen Instrument, nicht nur Begleitung. Und in jedem Song spielte sie anders. Das war für mich das ganz besonders Herausragende an Christy und Emily, auch wenn es weder Christy noch Emily waren.
Die neue Drummerin ist hier schon links im Bild zu sehen.
(Ralf, 22.4.11)
Mi. 16.03.11


Burn Baby Burn Tour
- München, Muffat Ampere (ca. 70 Zuschauer)
Ein Abend der Superlative: Top-Quality Entertainment, überraschend, gruselig, lustig, unfassbar. Wir haben gelacht und wir haben uns gefürchtet. Mehr konnte man nicht erwarten, auch wenn man dieses Ereignis leider nur in intim-zurückhaltender Atmosphäre feiern durfte.
Vorweg war uns nicht wirklich klar, was es zu sehen geben sollte. Angekündigt waren Alex Hacke (Einstürzende Neubauten), der dieser Tage mit seiner Frau Danielle de Picciotto eine neue LP als Hitman's Heel veröffentlichte, Kid Congo Powers (das alles schlagende Argument, das mich die Eintrittskarten in panischem Aktionismus bestellen liess, fast als müsste man jede Sekunde damit rechnen, dass alles ausverkauft ist. Wem muss ich Kid Congo Powers erklären? Kid ist legendärer Gitarrist beim Gun Club, den Cramps, bei Nick Caves Bad Seeds, den Divine Horsemen und mehr. Solltest Du keine dieser Bands kennen, dann bist Du entweder sehr jung und wirst auf der Stelle alles Menschmögliche unternehmen alle diese Bands kennenzulernen oder der Zugriff auf diese Website wird für Dich in Kürze automatisch gesperrt), eine mir nicht bekannte, aber wohl umso legendärere Person namens Khan und die mir ebenfalls vorher nicht bekannte Julee Cruise ... noch nicht.
Aber von Beginn an: Spärlich spärlich fand sich das Publikum ein ... und es wurde nicht besser. Ich würde mal sagen, zieht man die Gästeliste ab, waren das kaum 30-40 Leute. Wenn man bedenkt, dass dies ausser Berlin der einzige Auftritt dieses einzigartigen Ensembles in Deutschland war, könnte man das eine glatte Schande nennen. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass die Leute momentan überhaupt gar nichts interessiert, ausser vielleicht die spassgesellschaftskonformen Massenveranstaltungen. Musikalische Kunst aber ... das zieht momentan nicht. Ich glaube, wir befinden uns derzeit in einem historischen Vakuum, einer musikalischen Eiszeit. Alles langweilt, nichts reisst vom Hocker. Die Leute warten auf die neuen Stones oder wegen mir den neuen Curt Cobain, auf irgendwas, das sie mit Urgewalt aus ihrer Lethargie reisst. Und Hacke und Co. sind das bei allem Respekt natürlich auch nicht. Wollen sie auch gar nicht sein. Dennoch eilt diesem Line-Up eigentlich soviel Credibility voraus, dass ich mich für alle mitschämte, die nicht da waren. Wie konnte man das dem armen Alex nur antun, wo er doch soviel für die deutsche Musikwüste getan hat? Als ich die Neubauten das erste Mal sah, war das wirklich wie eine Götterdämmerung. Und immer noch gehören sie zum Besten und Revolutionärstem, was die deutsche Rockgeschichte je hervorgebracht hat.
Ganz bescheiden zeigte sich der äusserst sympathische und natürliche Gastgeber und Initiator dieser Veranstaltung mit seiner Band Hitman's Heel als erster Akteur des Abends. Er spielt Gitarre und singt, am Keyboard und an der Zither seine süsse Frau Danielle und stehend am Drumset der Hugo Race' Drummer Chris Hughes. Damit war die erste Supergroup des Abends schon mal perfekt und bereits nach 5 Sekunden breitete sich das wohlige Gefühl des Die-Anreise-hat-sich-gelohnt's aus. Wir bekamen intime skurrile Balladen zu hören, zwischen Blues und Industrial, liebevoll, böse, kindlich, schön. Dazu liefen im Hintergrund riesige Animationen von Picciotto. Das war schon mal sehr ergreifend. Hacke sah in seinem schlecht sitzenden Anzug aus wie ein staubiger Handelsvertreter, der in die falsche Zeit versetzt wurde, Picciotto mit Kleidchen und Hütchen und Blümchen in den Haaren wie ein verwunschenes Kind aus einem Märchen, das sie sich selbst ausgedacht hat. Dazu der im Stehen trommelnde Hughes, der ziemlich unsicher immer wieder auf Hackes Einsätze lauerte, damit er die nicht total verpatzte. Von den Bewegungen sah das aus, als hätte er heute zum ersten Mal in seinem Leben Trommelstöcke in der Hand gehabt. Den Beat hielt er sauber, doch er hatte einfach die Songabläufe nicht richtig intus und bei jedem Übergang blies er hinterher die Backen auf wie ein Blaseengel. "Puh! Geschafft!" Wirklich ein niedliches Trio. Sympathisch, bescheiden, etwas wackelig, dennoch sehr ergreifend und kunstvoll. Man wollte sie alle umarmen.
Bühne frei für Kid, Khan und Julee. Jetzt begann das Unfassbare, das Unerbittliche, eine Geisterfahrt auf dem Karussell der Emotionen. Es gibt mittlerweile einige Videos im Internet von dieser Veranstaltung, die mir ersparen, das Unbeschreibliche in Worte zu fassen. Einfach "Kid Congo Powers Khan" ins Google tippen, meine Freunde, und dann seid Ihr mit uns. Kid mit beigem Anzug, weissen Turnschuhen, kurzgeschorenen Haaren und lustigen Bewegungen sah aus wie ein ein Komiker. Khan (im richtigen Leben auch als Captain Comatose bekannt, Autor und Produzent einer wahrhaft unendlichen Liste an Platten und Projekten) am Keyboard, ein riesiger Schlacks mit hellrotem Anzug über weissem Tshirt und ebenfalls weissen Turnschuhen und am Gesang die völlig durchgeknallte Julee Cruise, eine leicht gealterte Frau mit blonder 80er-Frisur, einem langen schlapprigen weissen Unförmigem als Top, darunter schwarze enge Hose und Badelatschen. Was die drei machten, liess einem die Augen rausfallen, den Mund aufklappen und sich heimlich nach links und rechts drehen, um deren Wirkung auf die anderen Leute zu beobachten, vielleicht sogar eine versteckte Kamera zu suchen. Was die mit uns trieben, da wusste man nicht mehr, ob die einen verarschen, ob das Komik, Ironie, Geisterbahn war, ob jetzt gleich die Tür zugeht und wir für den Rest des Lebens mit denen eingeschlossen sind, oder ob jetzt gleich einer anfängt zu lachen und sagt: "Mensch, wir haben doch nur Spass gemacht." Die trugen das aber mit dem vollsten Ernst des in seiner eigenen Welt agierenden Avandgardisten vor und ... mein Gott ... das hatte Qualität und Hand und Fuss und wurde aus dem Ärmel geschüttelt, als wäre niemals etwas leichter gewesen, als diese Musik zu machen. Keyboards, Loops, bescheiden im Hintergrund bleibende Beats, Congos scheppernde Gitarre (ich behaupte, der kann nun wirklich ganz und gar nicht Gitarre spielen. Eigentlich macht er nur Krach, schiesst grelle hirnspaltende Dissonanzen ins Weltall und wenn er tatsächlich mal ein paar Töne in gleicher Reihenfolge hintereinander spielen muss, beisst er sich auf die Zunge und verfolgt konzentriert die Wege seiner unbeholfenen Finger) und eine ganz und gar furchterregende Julee Cruise, deren himmlischer Gesang das eine war, die vom Wahnsinn angetriebene Gestik das andere. Meine Angst vor dieser Frau hatte etwas Vollkommenes. Julee kennt man von der Twin Peaks Melodie "Falling". Sie hat den Song mit Bandalamenti geschrieben und gesungen. Und wie die Frau kuckte und sich bewegte, das war David Lynch-Feeling pur. Nur, dass man nicht im Kinosessel sass, sondern mittendrin war. Die konnte ja jederzeit runterkommen und einen anhauchen, um Gottes Willen. Ich hab dann tatsächlich mutig durchgehalten, die Tür aber immer im Auge, damit ich schnell wegrennen konnte, wenn sich die Situation zuspitzen sollte.
Nach einigen wirklich schönen und seltsamen Songs stolperte sie dann, sich an der Wand entlang tastend, die Arme und das Gesicht auf eine nur für sie sichtbare übergeordnete Instanz gerichtet, aus dem Bild, setzte sich hinter die Wand des Merch-Stands und dann schafften es Khan und Powers wie zwei Zauberer meine Aufmerksamkeit auf sich zu richten, so dass ich leider nicht mehr sehen konnte, wie Cruise dann von dort verschwand. Ob sie plötzlich normal war und kichernd davon lief oder was auch immer sie tat. Ich wollte es wissen, hab's aber verpasst.
Übergangslos rockten sich Khan und Powers nun nämlich durch eine Reihe elektronisch getriebener Disco-Songs. Man muss das gesehen haben, um es zu glauben. Khan breitete einen metergrossen bunten Fächer aus, stülpte ihn sich über den Kopf, stützte sich lässig auf den Mikroständer und sang voller Ernst und Inbrunst "You are my Candy Girl, you are my Lollipop, you're the sweetest I've ever had" oder so ähnlich. Ich vergass zu blinzeln, holte mir noch ein Bier und nippte apathisch daran herum, auf die Bühne starrend wie ein Kind, das zum erstemal im Leben den Kasper sieht.
Nick und Lydia (Cave und Lunch), das aufgestylte Teenagerpärchen, das, wie Daniel und ich, als allererste an der Saaltür standen, scharrend, nervös, schon fünf Minuten bevor die Tür überhaupt aufmachte, denen muss echt die Spucke im Hals gefroren sein, witzelten wir.
Und dann kam sie noch mal: Julee Cruise. Da war Lydia Lunch am Tag zuvor überraschenderweise nur mit heisser Luft geladen. Sie sang "Falling" und Kid Congo's sehnsuchtsvoller Blick in die oberen Abteilungen des Saals bewiesen, dass diese einfache Melodie voller Kraft ist. Auch wir waren ergriffen.
Und dann war plötzlich alles vorbei. Zu einer Zugabe kamen noch mal alle Akteure des Abends gemeinsam auf die Bühne und sangen den alten Jodler "Goo Goo Muck". Cruise tänzelte dabei wieder völlig neben sich herum, gestikulierte wild mit den Armen in der Luft und hielt Hacke das Mikro ins Gesicht, auch dann noch als es schon lange nichts mehr zu singen gab.
Wir harrten noch lange aus, tranken noch einige Biere und liessen das Geschehene Revue passieren. Die Akteure, ausser Julee Cruise, sassen am Merch, alberten mit ihren Gästen herum, liessen sich vom spärlichen Erfolg nicht die Laune verderben und packten anschliessend selbst ihren eigenen Krempel wieder zusammen.
So richtig kam uns aber erst am nächsten Tag, was wir da gesehen hatten. Wir trieben uns noch durch München, kauften Schallplatten und sprachen nur über ... Burn Baby Burn. Danke für diesen Abend.
(Ralf, 22.4.11)

Di. 15.03.11

Big Sexy Noise - Stuttgart, Schocken (keine 100 Zuschauer) Foto by Evil
Naja, hab ja ganz schön Vorschusslorbeeren reingepumpt in die gute Lydia. Und dann fand ich sie einfach nur ... unscheinbar. Die Grand Dame des New Yorker Undergrounds, eine der allergrössten Stilikonen des New Yorker Undergorunds überhaupt, machte nicht die beste Figur und wurde von ihrer Begleitband übertrumpft. Haushoch! Und zwar mit den Mitteln der Kunst. Die Jungs von Gallon Drunk waren einfach eine sausaugute Band und Lydia wirkte davor blass. Man wünschte sich eine bessere Sängerin und Performerin zur Band.
Sie lebt halt von ihrem Legendenstatus und den hat sie gottverdammichnochmal so verdient wie sonst niemand. Ich würde ihr ohne zu zögern das Undergroundverdienstkreuz höchsten Ranges verleihen. Sie gehört zu den wichtigsten 10 Underground Amis. Live fand ich sie aber Anfang der 90er schon eher wenig eindrucksvoll. Auch da war es vorallem die Person, die man mal so in Fleisch und Blut sehen wollte. Auch damals war die Band die Welt (mit Rowland S. Howard) und die Dame das Zugpferd.
Nachdem sie aber die letzten 15 Jahre musikalisch eher weniger auffällig und in Gefilden verweilte, die sich mir nicht direkt erschlossen, war Big Sexy Noise ein Comeback in unseren Wassern, das aufmerken liess. Die Collaboration mit Gallon Drunk ohnehin. Lydia grunzt und raunt mehr als früher. Auf Platte gefiel mir das zunächst gut. Die penetrante Sirene von früher wich direkter Bosheit, auch stimmlich.
Live konnte sie sich damit aber nicht durchsetzen. Die Stimme fiel im Gesamtbild ab. Entweder sie kann nicht mehr oder sie hat absichtlich aufs falsche Pferd gesetzt.
Zudem war die Band Welten besser als auf Platte. Der Sound ist von einer tiefen, sehr gefühlvollen aber auch sehr noisigen Gitarre dominiert, die zusammen mit einer verzerrten Orgel blutig erotische, hüftenerregende Weisen monoton vibrierender Urzeit-Blueser in die Nacht zittert, gekontert von einem unnachgiebig swingenden Drum. Das ist unaufhaltsames atavistisches Rotlicht, eben die Big Sexy Noise, wie's der Name schon sagt.
Doch Lydia wirkte darauf fast schon zahm, obwohl man vorher gesagt hätte, dass da niemand besser dazu passen würde als sie.
Sie sparte zwar nicht mit Breitseiten an ihre Jungs, doch die standen da drüber, waren auch mit blauen Augen (war wohl gegen die Tür gelaufen, der gute Johnston, haha) souverän wie junge Hengste.
Bei aller Kritik: Mir gefiel's vom ersten Ton an. Der wogende Sound der Band war sensationell. Sie hatten genau das, was grosse Musik hat: Einen einzigen einfachen aber unwiderstehlichen Riff der einen einzigen unwiderstehlichen Beat kontert und dadurch die Hüfte in Schwung bringt. Und trotzdem wirds nicht langweilig, denn die Songs sind in ihrer Einfachheit abwechslungsreich. Was hätte ich dafür gegeben, das in einem brennenden Londoner Club zu sehen anstatt an einem kühlen Dienstag in einem Land in dem gerade musikalisch niemanden irgendwas interessiert und ein kaum lässig halbgefüllter Schocken noch viel Platz zum Atmen liess (was ich ja schätze, was aber für das Desinteresse unserer Mitbevölkerung spricht).
Die Platte zur Tour hält übrigens nicht was das Konzert versprach. Ich höre nicht diese wunderbare Gitarre. Der klangliche Fokus liegt nicht auf Sex sondern auf nerviger Aufdringlichkeit. Ich höre nur Blech und ein permanent quiekendes Saxofon. Das ging live viel mehr in den Hintergrund und der Beat und die Riffs standen im Zentrum. Lunch ist beidesmal gleich schlecht. Auch ihre textlichen Aussagen sind für ihre Verhältnisse nicht aufregend. Ich bin trotzdem froh, sie nochmal so gesehen zu haben. Wer weiss, was als nächstes kommt.
(Ralf, 18.3.11)

Hier nochmal meine Ankündigung vor dem Konzert, die etwas mehr Hintergrundinformationen und einen emotional aufgewühlten Feuermann zeigt:
Manchmal kommt ein Wölkchen aus dem Himmel geflogen und setzt sich auf das Haupt eines einsamen Jünglings und sagt ihm: "Das Glück ist da!" Und dann sieht der Jüngling sich um und nach 1991 und weiss nicht mehr wann im VS Bahnhof darf der nun doch nicht mehr ganz so junge R. noch mal das nicht mehr erwartete Glück erahnen die grosse Angry Diva namens Lydia Lunch live zu sehen ... und sogar noch mit dem vielversprechendsten Projekt (zumindest aus Sicht eines Liebhabers der New Yorker NoWave Szene der 80er), das sie die letzten Jahre aus dem Boden gestampft hat: Big Sexy Noise, eine Zusammenarbeit mit Gallon Drunk, der sagenumwobenen Londoner Band, deren Sänger James Johnston sich schon anfangs der Neunziger hingebungsvoll zu unseren Füssen warf (oder fiel ... so geschehen auf Gallon Drunks D-Tour zum ersten Album, wo es Johnston regelmässig jesusmässig, Gitarre noch umgehängt, Monitore mitnehmend, von der Bühne schlug, eieiei, war das köstlich). Eine brennende Kooperation.
Lunch ist die neben den Swans und Sonic Youth noch aktivste Künstlerin dessen was man damals dann als NoWave bezeichnete. Als in Europa die Sex Pistols gerade mal anfingen, war New York damit bereits durch und Bands wie Teenage Jesus And The Jerks, mit Lydia als Gitarristin und Sängerin, trieben die Generation bereits zur nächsten Depression (dem unbedarften Nichtkenner des NoWaves soll gesagt sein, dass Depression hier nicht negativ, sondern gerade als Höhepunkt zu verstehen ist - meingott, was man heute nicht alles erklären muss). Alle ihre Bands waren kurzlebig, lebten so schnell auf und gingen so schnell unter wie eine Rasierklinge am Puls einer Stadt, deren Gottverlassenheit solche Kinder wie Lydia Lunch gebiert. In den mittleren 80ern machte sie vorallem durch ihre Filme mit Richard Kern und Nick Zedd Furore. Das Cinema of Transgression, indem auch Sonic Youth ihren Platz fanden, lebte auf und trieb Sex, Gewalt und Kunst auf bis dahin nicht gekannte Ebenen. Lydias Filme "The Right Side Of My Brain" und "Fingered" sind in der Underground Szene was die Beatles für den Beat waren. Wegbereiter, Trendsetter, Götterdämmerung. Im New Yorker Underground passierte in den 80ern nichts Spannendes an dem Lydia nicht beteiligt war.
Sie sang, sie schrieb, sie musizierte, sie agierte. Sie wurde zum Vorreiter der Angry Women Bewegung, Lichtjahre bevor ein paar lahme Enten das Riot Grrrl-Movement begründeten und doch immer nur ein Hauch der Durchschlagskraft, den Extremen, der Bedingungslosigkeit einer Lydia Lunch blieben. Lydia war immer sich selbst. Und opferte Seele und Körper der Kunst, nein, vielleicht muss man das eher als Zwanghaftes Hingeben sehen, Selbstdarstellung bis zur Selbstaufgabe, als Selbstzweck, einziges Mittel der Selbstheilung. Kooperationen mit Cave, Sonic Youth, den Swans, Henry Rollins, Neubauten, Die Haut, Rowland S. Howard, Foetus und vielen mehr.
Und nun ist es 2011, Lydia Lunch ist 51 Jahre alt ... und wütend wie immer. Lasst Euch das nicht entgehen.

Sa. 12.03.11 Pub La Bomba, Navigator - Sonnenkeller, Balingen (ca. 60 Zuschauer):
Was für ein lustiger Abend. Wenn Hafi nicht gewesen wäre, hätte ich wohl nicht nach Hause gefunden. Ich halte es da ja absolut mit Dean Martin, der meinte, dass ein Mann solange nicht betrunken ist, wie er flach auf dem Boden liegen kann ohne zu schwanken. Doch als ich nicht mehr wusste wer zweiter der Bundesliga ist, wurde mir klar, dass ich doch ... sagen wir ... leicht beschwipst war. Immerhin hab ich die Schuhe ausgehabt, als ich morgens aufwachte.
Insgesamt war's geradezu familiär. Man kannte fast jeden im Laden und hatte daher immer irgendwo was zu klönen. Da die Satanics-Portugal-Tour-Gemeinschaft aber wiedervereint war, und alle unisono einen Backflash hatten, mussten sich auch viele Leute Gerede anhören, das wohl weniger interessant für sie war, die Armen.
Navigator fand ich überraschend gut. Sind ne richtige Maschine geworden, spielerisch perfekt zusammengewachsen und auch kompositorisch haben sie deutlich zugelegt. Nicht ganz mein Geschmack, ihr Metal-Core mit modern-melodischem Gesang, aber gut gemacht allemal.
Pub La Bomba dann wieder absolut on top. Ihre Rhythmik ist unschlagbar. Drums, Gitarre, Bass und Gesang laufen genial gegeneinander und machen daher den tanzbarsten Hardrock, den ich je gehört habe. Das klingt vital und mitreissend. Die neuen Songs finde ich fast ausnahmslos auch super. Bringen interessante Wendungen rein ohne den alten Grund und Boden ganz zu verlassen. Am nächsten Tag hab ich ihre letzte Platte aufgelegt und bekam vor den vielen superlativen Begriffen, die mir dazu einfielen, kaum mehr Luft. Das Ding zerreisst Dich echt in der Mitte. Pub La Bomba sind richtig gross. Schade, dass es kaum jemand weiss.
(Ralf, 19.3.11)
Sa. 22.01.11 Gay Bar Zine #3 Releaseparty - Balingen, Jugendhaus Insel (100 Zuschauer):
Die dritte Printausgabe ist fertig. Das musste gefeiert werden und die Damen und Herren Gay Bar taten das mit einer amtlichen Party mit amtlichen Livebands. Der Laden voll, die Stimmung gut, die erste Band bereits feste am Hantieren: Clap Your Hands Twice. Die Punkrockers aus den Bergen, seit längerem mal wieder im Tal. Leider nicht ihr intensivster Auftritt. Man merkt, dass sie gerade nicht soviel Live-Praxis haben. Es war ok, aber wenn man die Band schon ein paarmal gesehen hat, weiss man, dass sie noch viel besser können. Dafür kommt demnächst ein neues Album.
Hysterese waren die grossen Spannungsträger des Abends, ein neues Projekt von Helen und Moritz, die Tübinger Alicja und Jay, den Zentralpersonen der Derby Dolls. Am Schlagzeug sass, nicht mehr ganz überraschend, David von den Mokicks, ausserdem Herausgeber und langjährige treibende Kraft des Gaybarzines. Apocalyptischer Punkrock, immer geradeaus, in den treibend monoton-hypnotischen Momenten fast wie Shellac. Moritz hysterische "Gesänge" gekontert von Helens tiefer Taubenröhre. Und immer nach vorne, immer geradeaus, immer nach vorne, schnörkellos, immer nach vorne, mitreissend. Hat mir super gefallen.
Bislang gelingt Helen und Moritz alles was sie anpacken. Ich hoffe nur, dass sie sich nicht eines Tages genauso verzetteln wie ihre Vorbilder. Am Ende "A Forest" tat mir dann leider etwas weh. Ich war mal Fan, ca. 1986. Da hab ich mir ne Überdosis geholt. Ich kann mit the Cure nicht mehr. Nie wieder. Da ist meine Toleranzfähigkeit erschöpft erschöpft erschöpft. Und noch mal erschöpft. Egal. Tut dem Gesamteindruck keinen Abbruch und offensichtlich bin ich der einzige, der den Dunkel-Pop spätpubertierender Schwarzröcke der frühen Achtziger nimmer hören kann.
Liberty Madness, der Beweis, dass die Schöpfungsgeschichte nicht vorhersehbar ist, indem sie uns vier jugendliche Liebhaber des metalfreien Hardcore-Punks der Frühzeit vor Augen führt. Hab ich hierzulande bereits mehrmals gelobt. Leider ist der Überraschungsfaktor der Ludwigsburger nun verblichen und die Musik muss sich einem nicht mehr übertölpelbaren zugekniffenen Auge stellen. Dabei zog bei mir erstmals eine leichte Ernüchterung ein, da viele der Songs auch ein wenig an einem vorbeibrettern, gute Akzente gehen im kompositorischen Durcheinander unter. Dennoch gefällt mir natürlich die Einstellung der Band. Das ist Chaos pur. Die leben ihr Ding. Und wo die jetzt wieder diesen neuen Drummer her haben? Sowas fällt doch nicht vom Himmel? Also ich fühl mich wohl mit denen.
(Ralf, 4.2.11)

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Teufel