Konzertbesprechungen 2012

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Derriere (Köln, 23.11.12) - Holograms (Köln, 20.11.12) - Michael Nyman Band (Köln, 17.11.12) - Soft Moon (Köln, 20.11.12)

Fr. 23.11.12 Derriere - Köln, KHG (ca. 60 Zuschauer) Picture by Puck Duimdus
Viel zu wenig los für sooo eine gute Band. Derriere aus Brighton, ein ganz bunt gemixter Haufen hervorragender Musiker und Komponisten, brachten wunderbar swingenden Rock'n'Roll 50er/60er Prägung mit einer Bläsersection, mal schwül raunchy, mal flott-beschwingt, aber immer sehr hüftentflammend und auf höchstem Niveau. Leider etwas ungemütliche Atmosphäre in der Eingangshalle des KHG, das die Veranstaltungstruppe vom Hip Shakin Beat Club ausweichend zu nutzen hatte, da der Laden gerade renoviert wird. Die Band liess das vergessen, alles tanzte, lachte, hatte Spass. Die ruhigeren Nummern, die mir selbst am besten gefielen, zündeten beim Kölner, auf Party eingestellten Publikum, allerdings deutlich weniger. Gings flott weiter, waren sie wieder am Schwoofen. Jedem seins.
(Ralf, 15.12.12)
Di. 20.11.12

Holograms, Soft Moon - Köln, MTC (130 Zuschauer)
Junge Schweden mit Wave-Punk ganz im 70er Stil, allerdings mit der optischen Lockerheit der 2000er Jahre. Mit der schrabbligen Gitarre, dem stets mehrstimmigen, mehr gegrölt als gesungenen Gesang und dem blubbernden und fiependen Korg-Mono-Synthie, erinnerten sie sogar ein wenig an Black Lips gone Wave, auch die Lost Sounds standen Pate, auch wenn die Holograms da weniger abgedreht und ernsthafter sind.
Auf Dauer allerdings waren Tempo, das etwas erschöpfte Auftreten der Akteuere (ob die immer so sind oder nur kaputt waren, wollte der Rezensent nicht in Erfahrung bringen müssen) und der Variantenreichtum in den Songs nachlassend, so dass ein Barplatz der Sache Genüge tat.
Soft Moon danach, die eigentliche Hauptband aus den USA, konnte man wegen der düster-sein-wollenden Lightshow (gegen das Licht kann man nicht viel sehen, grummel) schlecht erkennen. Die Musik war kalt, wavig, fragmentarisch, die Songstrukturen sogar fast experimentell, doch der dominierende Joy-Division-Chorus-Bass und die apokalyptischen Synth-Effekte, gepaart mit sehr spärlichem Gesang zogen mich höchstens geistig ein wenig an, im Herzen tat sich da gar nichts. Musik für deprimierte Coole mit Wave-Hang.
(Ralf, 15.12.12)

Sa. 17.11.12

Michael Nyman Band - Köln, Philharmonie (1000 Zuschauer) Was für eine coole Sau. Seht Euch nur die Socken an ...
In einem mir völlig unüblichen Anfall geringschätziger Hochnäsigkeit muss ich gestehen, dass es mir sehr müssig ist, Euch Michael Nyman erklären zu müssen. Wer mein Facebook Freund ist, durfte sich in jüngster Zeit einiger Beiträge zur sogenannten "minimalistischen" klassischen Musik aufgedrängen lassen. John Cage gehört nicht mehr wirklich dazu, aber Steve Reich und Phillip Glass sind Namen, die Nyman sehr verehrt, ja sogar, nach einiger Zeit der Verdrossenheit, Ende der 60er wieder zurück zum Komponieren brachten. Da ich selbst minimalistische Musik jeder Art vergöttere, waren mir auch die klassischen Experimentalisten stets ein Ohr oder mehr wert.
Dennoch bin ich, wie die meisten über die Filmscores, die Nyman komponiert und mit seiner Michael Nyman Band auch stets selbst eingespielt hat, auf ihn aufmerksam geworden. Lange bevor mich der Minimalismus an sich interessiert hat, um genau zu sein, Mitte der 80er Jahre, als ein gewisser britischer Regisseur namens Peter Greenaway mit seinen damaligen Filmen "Ein Z und zwei Nullen", "Der Kontrakt des Zeichners" und vor allem "Verschwörung der Frauen" (Drowning By Numbers) und "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" für große Aufregung sorgten. Und wer aufgepasst hat, wird ahnen, wie die Puzzleteile zusammen passen. Noch bekannter allerdings ist Nymans Soundtrack zu Jane Campions Das Piano mit Hunter und Keitel.
Wie schön, dass mir meine neue Heimatstadt Köln daher an einem meiner ersten Ganz-Da-Wochenenden das wundervolle Geschenk eines Nyman Konzerts machte. Der gute Mann ist nämlich just auf Tournee mit seiner Band, also das typische Ensemble (4 Streicher (von Violine bis Cello), 6 Bläser (Holz, Blech, von Flöte über Oboe und Fagott bis Posaune und Horn und ein E-Bass), mit dem er alle seine Kompositionen, egal ob sie für ein Orchester oder ein Streichquartett waren, zunächst ausprobierte. Und sie vertonten zwei alte Stummfilme live.
Nyman selbst spielte Piano, sass aber mit dem Rücken zum Publikum, da er a) sein Orchester zu dirigieren und b) den Film immer im Auge zu behalten hatte, damit da nichts asynchron wird.
Und ich sage Euch eins: Als der erste Film begann und diese pumpenden, verschachtelten Stakkato-Holzbläser einsetzten, wie ihr sie alle kennt ... so denn ihr Nyman schon mal gehört habt ... da brach eine Ganzkörpergänsehaut über mich herein wie ein Gespenst, das sich verzweifelt liebend an den fiebernden Geist klammert. Dies erstarrte mich bis ans Ende des knapp 20minütigen Films. Mein Geist, mein Herz, sie rasten und sie standen still, waren hitzig beschäftigt mit schauen, hören, beeindruckt sein.
Zwei Stummfilme, beide halbdokumentarisch, einer über New York, einer aus Russland. Sie zeigten Städte, Bauten, Menschen, Momentaufnahmen, im zweiten Fall sogar selbstreflexiv wie ein Greenaway es nicht deutlicher hätte sein können, da der Kameramann immer wieder selbst der Hauptdarsteller ist.
Nyman gab den Filmen den Takt an, hauchte den scheinbar unwechselhaft dahinfliessenden Bilderfluten Stimmungswechsel, Vielschichtigkeit und Gefühl ein. Mir ist durchaus bewusst gewesen, wie stark auch die Musik im Film den Rhythmus und die Stimmungen beeinflussen kann. Doch der Handlungslosigkeit der Filme nach Belieben Bedeutung zu geben und wieder zu nehmen, das war schon ein starkes Stück.
Ich möchte jetzt eigentlich gar nicht weiter ins Detail gehen, da ich sonst in einem halben Jahr noch schreiben werde.

Ich kann nur eins sagen: Gott, hat mir das gut getan. Ich lebe wieder.

Und was für eine coole Sau Nyman ist, mit seiner schrägen Truppe an wahnsinnigen Musikern, ist mit Worten nur schwer zu beschreiben. Wie der am Piano hockt, halb hängend ... Ich mein, man wusste ja, dass er Humor hat, aber ich glaube, nachdem Schlingensief nun leider tot ist, hab ich hier einen neuen Leibsschlingel gefunden, den ich weiter beobachten und geniessen werde.
(Ralf, 4.12.12)


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